Eigentlich weiss Petr Svoboda alles über Hockey. Er hat über 1000 NHL-Partien gespielt, gewann olympisches Gold (1998) und war Stanley Cup-Sieger mit Montréal (1986), später Agent von Grössen wie Jaromir Jagr, Jakub Voracek oder Denis Malgin.
Aber er kennt die Besonderheiten unseres Eishockeys noch nicht. Der Mann aus dem böhmischen Most ist nicht der erste vermeintliche Hockey-Grossmeister, der bei uns eine Anlaufzeit braucht. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass sie kurz sein wird. Entweder, weil er so viel über Hockey weiss und schnell lernt oder dann, weil sein Abenteuer nur von kurzer Dauer ist.
Wie Marc Lüthi in Bern mit der Anstellung von Sportchefin Florence Schelling und Trainer Don Nachbaur hat auch Petr Svoboda als Sportdirektor bereits im Sommer für viel Aufregung gesorgt. Dabei wäre keine Aufregung nötig gewesen. Sportchef Jan Alston hatte in geduldiger, beharrlicher Arbeit seit dem Wiederaufstieg von 2013 das Fundament für eine Meistermannschaft gebaut. Mit ein paar transfertechnischen Handgriffen wäre es nun möglich, daraus in den nächsten zwei Jahren eine Meistermannschaft zu machen. Ohne Revolution.
Wenn es den Eseln zu wohl wird, beginnen sie auf dem Eis zu tanzen. Das Management in Lausanne mahnt schon ein wenig an diese alte Bauernweisheit. Wieder einmal hängt das Glück an der Geduld ausländischer Besitzer. Nach dem Amerikaner Ken Stickney versuchen inzwischen die Financiers Gregory Finger, ein russischer Mehrfachbürger und der tschechische Geschäftemacher Zdenek Bakala aus Lausanne einen Titelkandidaten zu machen.
Sie haben die Geduld bereits verloren. Ohne jede Not ist Jan Alston, der diskrete Architekt des neuen Lausanne und seit mehr als 20 Jahren mit den Besonderheiten unserer Hockeykultur vertraut, des Amtes enthoben worden. Der Mann des Vertrauens der neuen Besitzer ist also Petr Svoboda. Manager Sacha Weibel bleibt im «Fürstentum Svoboda» noch die Rolle des braven Soldaten Schwejk.
Was in der NHL gut ist, ist in der kleinen National League billig. Wenn selbst Stars in der NHL hin- und hergeschoben werden können wie Schachfiguren, dann wird das wohl auch in der Schweiz möglich sein. Und wie kann ein Manager seinen Besitzern zeigen, dass er unermüdlich, fleissig, ohne Rast und Ruh für das Unternehmen tätig ist? Am besten mit schlagzeilenträchtigen Spielertauschs.
Petr Svoboda hat aus Genf die Hinterbänkler Tim Bozon, Petr Cajka, Guillaume Maillard und Florian Douay geholt und dafür mit dem WM-Silberhelden Joël Vermin einen der komplettesten Stürmer der Liga und mit Tyler Moy einen hochkarätigen Doppelbürger hergeben. Ein nordamerikanischer Beobachter unseres Hockeys kommentierte dieses Tauschgeschäft sarkastisch so: «Servette flushed the toilet». Er meinte: Servette ist die Spieler losgeworden, die man eigentlich gar nicht mehr wollte. Doch das war nur der erste Akt im grossen Hockeytheater Lausanne. Petr Svoboda wird uns während der Saison laufend mit Transferaktivitäten unterhalten. Zurzeit versucht er Etienne Froidevaux loszuwerden. Der ehemalige SCB-Junior war immerhin letzte Saison noch Captain.
Und trotzdem könnte der Winter auf dem Eis ruhmreich werden. Das mag zeigen, wie viel sportliche Substanz noch immer vorhanden ist. Das mit viel Geld hochgerüstete Team ist bei weitem gut genug für einen Spitzenplatz. Der Zirkus mahnt an den SC Bern und so wie der SCB im Selbstverständnis das Bayern München unseres Hockeys ist, so sieht sich Lausanne als Montréal unseres Hockeys. Aber Lausanne hat die besseren Torhüter, die besseren Ausländer und den besseren Trainer als der SCB.
Für Trainer Craig MacTavish, ein Kumpel von Petr Svoboda aus NHL-Zeiten ist der erstmalige Einzug in die Playoffs, ja sogar in den Final angesichts des investierten Geldes, des ganzen Theaters und des zelebrierten Selbstvertrauens des Klubs eigentlich Pflicht. Wenn wir uns ein wenig näher mit dem Kanadier beschäftigen, dann erahnen wir, warum er die Schlüsselfigur sein wird. Er ist wahrhaftig eine Hockey-Legende. Er spielte über 1000 NHL-Partien ohne Helm und war der 1997 bei seinem Rücktritt der letzte NHL-Profi, der keinen Held trug. Und doch hat er nie eine Gehirnerschütterung erlitten. Er gewann vier Stanley Cups mit Edmonton und den Rangers und als kanadischer Nationaltrainer den Spengler Cup, coachte Edmonton neun Jahre lang und erreichte 2006 den Stanley-Cup-Final.
Einst galt Craig MacTavish als «harter Hund», nun ist er 61 und ein wenig altersmilde geworden. Er hat im Quadrat mehr Charisma als sein Vorgänger Ville Peltonen, dessen Job er im Februar übernommen hat. Der Kanadier wird die taktischen Fesseln lösen und mit Lausanne spektakuläres «Firewagon-Hockey» probieren. Das Hockey, das er einst an der Seite von Wayne Gretzky selber zelebriert hat. Ein grosses Spiel hat er mit Lausanne ja schon gewonnen: die letzte Partie der letzten Saison gegen den SCB. Die Niederlage kostete den Titelverteidiger die Playoffs.
Lausanne ist ein Titan mit Meisterpotenzial, der in die neue Saison taumelt. Der Trainer ist ein Glücksfall: was kümmert einen Mann mit so viel Hockey-Lebenserfahrung wie Craig MacTavish das tschechisch-welsche Theater im und um den Klub herum? Er ist der französischen Sprache sowieso nicht mächtig. All die Polemik rund um dieses Hockey-Hollywood wird ihn in der Konzentration auf den Job nicht stören.
Aber wenn Craig MacTavish in vollem Umfang realisiert, auf was für ein Abenteuer er sich da im «Fürstentum Svoboda» eingelassen hat, stürzt Lausanne in die grösste Krise seit dem Wiederaufstieg.
Platz 8. Von Platz 4 bis Platz 9 ist alles möglich. Und es ist keineswegs sicher, dass Petr Svoboda im nächsten Frühjahr noch Lausannes allmächtiger Chef sein wird.
Der SCB ist allerdings unbestreitbar ein erfolgreicher Club (mit Ausrutschern 🤦🏼♂️), und darauf darf man auch stolz sein.