Es knackt gerade in der Leitung, aber das Lachen von Albian Ajeti ist nicht zu überhören. «Es ist schon speziell, wir wohnen hier näher beieinander, als wir es ein Leben lang in Basel getan haben.»
Wir, das sind Albian Ajeti und Cedric Itten. Zwei mittlerweile 23 Jahre alte Fussballer, beide ausgebildet beim FC Basel. Der eine ist in Allschwil aufgewachsen, der andere im Kleinbasel, bis die Familie nach Muttenz zog. Fast auf den Tag genau zwei Monate älter ist Itten als Ajeti. Der eine im Dezember geboren, der andere im Februar. Seit sie zehn Jahre alt waren, sind ihre Wege verwoben. Zwar waren sie immer wieder getrennt, aber auch immer wieder vereint. Sei es in ihren Entscheiden, in ihren Vereinen, in der Nationalmannschaft.
So besonders wie jetzt war die Konstellation jedoch noch nie. Als wahnsinnig bezeichnet sie Itten. Wahnsinnig speziell. Mehr darf weder er dazu sagen, noch Ajeti. Denn die beiden Schweizer Nationalstürmer sind zwar vereint in einer Stadt, aber getrennt in ihren Farben. Oder viel mehr und in Glasgow insbesondere: Getrennt in der Religion.
Ajeti und Itten spielen mittlerweile für Celtic Glasgow und die Glasgow Rangers. Innerhalb von nur neun Tagen unterzeichneten sie ihre Verträge. Erst Itten bei den Protestanten von den Rangers, danach Ajeti bei den Katholiken von Celtic.
Dass die beiden im selben Transferfenster in derselben Stadt gelandet sind passt zu ihrer Beziehung, ihren Karriereverläufen. Manchmal hatte man das Gefühl, als würden sie sich Dinge abschauen. Viel mehr aber denken die zwei, denen oft ganz unterschiedliche Charakteristika nachgesagt werden, oftmals ähnlich.
In der öffentlichen Wahrnehmung sind Ajeti und Itten tatsächlich Antagonisten. Hier Ajeti, der stolz auftretende Spieler, nie um einen Spruch verlegen und der von sich selbst sagt: «An Selbstvertrauen hat es mir noch nie gemangelt. Als Fussballer, aber auch als Typ.» Da Itten, der zurückhaltend agierende Mensch, der lieber weniger sagt, als Sprüche zu klopfen. Vielleicht sind es auch ihre Wege im Nachwuchs, welche die beiden zu diesen Typen geformt haben. Während es für Ajeti im jungen Alter fast nur linear verlief, er schon mit 17 sein Profi-Debüt gab, war es für Itten etwas schwieriger. Er hatte mit Wachstumsschüben zu kämpfen, feierte erst mit 19 sein Debüt auf höchster Ebene. Auch, «weil ich einen Umweg über die U17 gemacht habe», erzählt er, als wir ihn letzte Woche erreichen.
Eben ist er nach Hause gekommen vom Training, es ist bereits 16 Uhr in Schottland. Ein später Feierabend für Fussballer. «Aber hier ist alles grösser, professioneller, als wir es in der Schweiz kennen.» Ist das Mannschaftstraining erst zu Ende, absolvieren alle Spieler zusätzliche Einheiten. «In den ersten beiden Wochen hatte ich ständig Muskelkater», sagt Itten und lacht.
Die kleinen, muskulären Probleme, die kurz nach seinem Wechsel folgten, waren fast zu erwarten. Schliesslich hatte er keine Pause, wechselte nur einen Tag nach Super-League-Ende von St. Gallen nach Glasgow, wo die Meisterschaft bereits lief. «Innerhalb von drei Tagen habe ich mir alles angeschaut, unterschrieben, bin umgezogen und habe mein Debüt feiern dürfen.» Ein toughes Programm, «aber schliesslich wollte ich so schnell wie möglich Anschluss finden in der Mannschaft.» Muskuläre Probleme plagen auch Ajeti, seit er in Glasgow angekommen ist. Nicht aber aus denselben Gründen wie bei Itten, sondern aus komplett konträren.
Denn derweil Itten aus dem Spielen kaum mehr raus kam in St. Gallen, seine beste Saison in seiner Karriere feierte und 19 Tore erzielte, erlebte Ajeti die dunkelste Phase seiner Laufbahn. Im Sommer 2019 zu West Ham United gewechselt, lernte Ajeti, wie hart der Profifussball in den ganz grossen Ligen sein kann. «Auch wenn du 10, 15 Millionen gekostet hast, bist du hier kein grosser Fisch.» Gerade mal 12 Einsätze und 400 Minuten summiert er in seiner Zeit in London. «Das ist definitiv nicht so aufgegangen, wie ich mir das vorgenommen hatte.»
Von Manuel Pellegrini in Englands Hauptstadt geholt, sank Ajetis Status von dem Moment an, als Pellegrini gehen musste. Also: nur wenige Monate nach seiner Ankunft. Unter Nachfolger David Moyes hatte er keine Chance mehr. «Er erklärte mir, dass er auf grosse Stürmer steht. Auf solche, die zwei Meter messen. Aber ich konnte ja nicht einfach mal schnell, schnell wachsen.» Er habe es akzeptieren müssen und habe dies getan. Wer ihn kennt, weiss: Einfach war das nicht.
Plötzlich nicht mehr eingesetzt zu werden, nachdem man ihn unbedingt haben wollte – eine Situation, die Cedric Itten kennt. Die Ironie der Geschichte: Es war damals Ajeti, der Itten plötzlich vor der Sonne stand. Nicht im Nachwuchs, damals stürmten die beiden Freunde gemeinsam in einem Doppelsturm, mit einem gewissen Breel Embolo als Zehner hinter ihnen. Es waren die Zeiten einer goldenen Generation auf dem FCB-Campus.
Nein, der grosse Konkurrenzkampf zwischen Ajeti und Itten, er folgt Jahre später, im Herbst 2017. Nachdem sich Ricky van Wolfswinkel – der damalige Königstransfer des damaligen FCB-Sportchefs Marco Streller – den Fuss bricht, holt Basel den an Luzern ausgeliehenen Itten zurück. Am Flughafen Manchesters erklärt Streller, dass man Ittens Physis brauche, seinen Torriecher, seine Präsenz. Im Hintergrund besteht aber immer noch der Wunsch, Ajeti ebenfalls zurück zu holen.
Ajeti ist so etwas wie der eineinhalb Jahre zuvor verloren gegangene Sohn. Während Itten damals unter Urs Fischer sein Debüt als Profi feiert, sieht Ajeti keine Chancen und wechselt etwas fluchtartig im Januar 2016 nach Augsburg. Zu früh, wie sich später herausstellt, Ajeti kommt kaum zu Einsätzen. Nach einem halben Jahr wechselt er dorthin, wo er zu einem gestandenen Stürmer wird: zum FC St. Gallen. In knapp eineinhalb Jahren reift Ajeti in der Ostschweiz und wechselt nur wenige Tage nach Ittens Rückkehr zum FCB im Herbst 2017 ebenfalls zurück in die Heimat. Plötzlich sind sie wieder vereint.
Für Itten aber ist Ajetis Wechsel das Ende aller Hoffnungen. Die Einsätze werden trotz starker Quoten rar, im Winter lässt er sich ausleihen nach – wohin auch sonst – St. Gallen. Und tut dort, was Ajeti schon vor ihm tat: Zu einem gestanden Stürmer reifen. Zu einem, der der Schweizer Liga entwächst, im Herbst 2019 zum Nationalspieler wird, beim Debüt trifft – und endlich ganz oben angekommen ist. Und vor allem: Ajeti überholt hat. Vielleicht zum ersten Mal, seit sich die Wege der beiden stets kreuzen. Itten ist der neue Star am Schweizer Fussballhimmel, Ajeti wird in der Öffentlichkeit kaum mehr wahrgenommen.
Bis diesen August. Bis beide nach Glasgow wechseln. Ausgerechnet. «Die Leute, die die Glasgow Rangers kennen, verstehen, weshalb ich hier hin gewechselt bin», sagt Itten. «Es ist ein absoluter Traditionsverein mit einer grossen Geschichte und 54 Meistertiteln. Hinzu kommt, wie der Fussball hier gelebt wird, dass wir vorne und europäisch mitspielen. Dieser Wechsel war der perfekte Entscheid für mich.»
Einer, der auch vom Mann an der Seitenlinie mitgeprägt wurde: Steven Gerrard. Die Liverpool-Legende ist Ittens neuer Trainer. «Als das Interesse der Rangers bekannt wurde, hatte ich einen Video-Call mit ihm. Da war ich schon sehr nervös.» Schliesslich kenne jeden ihn, habe ihn am Fernsehen gesehen und zu ihm hochgeschaut. «Dass ich plötzlich mit ihm reden durfte, konnte ich kaum realisieren.» Dass er ihm aber jenes Vertrauen versprach wie vor zweieinhalb Jahren St.-Gallen-Trainer Peter Zeidler, liess ihn den Entscheid pro Rangers schnell fällen.
Vertrauen. Das spürte auch Ajeti von Seiten der Verantwortlichen von Celtic. Nach einem Jahr der Rückschläge, «in welchem ich sportlich nicht viel gewonnen habe, mental aber einen sehr grossen Schritt nach vorne machen konnte.» Und nach einem Jahr frei von regelmässigem Fussball. «Dass sie mich trotz diesem Umstand noch unbedingt verpflichten wollten, hat mir gezeigt, dass es ein gescheiterer Schritt ist als jener vor einem Jahr.» Damals entschied er sich für West Ham – obschon Celtic ihn da ebenfalls schon wollte.
Vielleicht hat es sein müssen, dass es ihn erst jetzt weiter in den Norden Grossbritanniens zieht. Der Abschied aus London sei hart gewesen, er habe sich immens wohl gefühlt. Nur: die Spielpraxis habe eben gefehlt, «und ich wollte nicht noch mehr Zeit verlieren und bereuen, noch länger zugewartet zu haben.» Für Itten war der Wechsel ebenfalls nicht einfach, St. Gallen ist zum Wohlfühlort geworden. Aber er habe gespürt, «dass ich bereit war für den nächsten Schritt.» Angekommen sind sie beide in Glasgow. Privat haben Itten und seine Freundin Nina haben eben ein Haus bezogen, auch Ajeti ist fündig geworden.
Auf dem Platz beeindruckt Ajeti mit fünf Toren in sechs Ligaspielen. «Und das, obwohl er noch nicht 100 prozentig fit ist. Man male sich erst einmal aus, wie gut er ist, wenn er ganz fit ist», sagt Matthew Lindsay vom «Herald Glasgow». Auch Itten hat seine ersten beiden Treffer erzielt vor Wochenfrist, als Einwechselspieler in gerade mal 21 Minuten. Die Glücksgefühle sind in den Stimmen Ajetis und Ittens zu hören, wenn sie über ihre neuen Vereine sprechen. Sie haben das Glück in Glasgow gefunden.
Gerne würden sie sich persönlich darüber unterhalten, sich austauschen. Geklappt hat es noch nicht. Beim letzten Nati-Zusammenzug musste Itten mit muskulären Problemen passen, jetzt zwicken Ajetis Muskeln. Gemeinsam essen in der Stadt, das sei unmöglich. Schliesslich gehe es «um Leben oder Tod» zwischen Celtic und den Rangers, wie Ajeti sagt. «Den Entscheid für den Verein trifft hier die familiäre Herkunft», sagt Itten. Man ist grün oder blau. Celtic oder Rangers. Katholisch oder protestantisch.
Die Rivalität der so verfeindeten Vereine, sie gipfelt im wohl grössten Derby der Welt: dem Old Firm. Am 17. Oktober ist es so weit. Ob Ajeti bis dann fit ist, ist unklar, aber realistisch. Dann stünden sie sich gegenüber. Albian Ajeti und Cedric Itten. Im prestigeträchtigen Old Firm Derby. Vor Abermillionen Zuschauern vor den Fernsehern der Welt. Es wäre das nächste Kapitel einer ganz besonderen Verbundenheit zweier Basler Freunde.
Wegen Fussballclubs und Religion. Krank.