Lucien Favre strahlt wie ein Maikäfer, als er am Donnerstag zur Pressekonferenz vor dem Bundesligaspiel in Wolfsburg erscheint. Der neue Trainer von Borussia Dortmund hat nach dem verblüffenden Saisonstart ja auch allen Grund dazu. An Allerheiligen in allen Wettbewerben noch ungeschlagen zu sein, ist ein starkes Stück. Logisch, wird der Schweizer im Pott gefeiert.
Wie Jungstar Sancho, Torjäger Alcacer und der auferstandene Götze. Dabei wird oft übersehen, dass es beim BVB einen gibt, ohne dessen Leistungen diese Zwischenbilanz gar nicht möglich wäre: Roman Bürki. Ob im Pokal gegen Fürth, in der Bundesliga gegen Leipzig, Stuttgart und Leverkusen oder in der Champions League gegen Brügge und Atlético Madrid, die mirakulösen Paraden des Schweizer Torhüters machten diese Siege überhaupt erst möglich.
Bürki erlebt gerade die attraktivste Zeit seiner Laufbahn. Gestützt von Fakten: Von allen Bundesligatorhütern hat er mit 73.7 Prozent den Bestwert in der Rubrik «abgewehrte Schüsse». Und der «Kicker» führt ihn im Ranking der Torhüter mit einem Notenschnitt von 2.33 als Nummer 2 hinter dem Berliner Jarstein.
Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil ihn das Fachmagazin in der zweiten Halbjahresbilanz der Saison 2017/18 nicht einmal mehr in die Rangliste aufgenommen hatte. Begründung: instabil und inkonstant. Immer wieder ist auch zu hören, das schreckliche Attentat auf den Teambus im April 2017 habe den sensiblen Bürki noch lange belastet.
Im Januar kassierte er durch den Freiburger Petersen ein Tor aus 40 Metern, wurde von den Fans ausgepfiffen und sagte danach: «Einige von ihnen kommen nur, um uns auszupfeifen.» Die Replik: «Lieber ohne Bürki als ohne Fans!» Es waren harte Zeiten, als «Bild» von «Gürki» schrieb und «Spiegel online» von einem «Hampelmann».
Heute räumt Bürki ein, er habe damals nicht die richtigen Worte gefunden. Aber der BVB hat ihn nie fallen lassen. Ja, im Oktober letzten Jahres wurde Bürkis Vertrag demonstrativ bis 2021 verlängert, als der Goalie nach ein paar Patzern wieder einmal in der Kritik stand.
Als die Westfalen dann auf die neue Saison hin Marwin Hitz vom FC Augsburg verpflichteten, glaubten indes manche Beobachter, jetzt habe Bürkis letzte Stunde geschlagen. Intern aber hatte der Klub kommuniziert, dass Bürki Stammgoalie bleibe, und dies offenbar auch mit Landsmann Hitz so abgesprochen.
Als wollte er dies untermauern, bat Bürki den Verein darum, künftig mit der Nummer 1 statt der 38 auflaufen zu dürfen. Dass er seinen zurückgetretenen Vorgänger Roman Weidenfeller zuerst anfragte, ob es ihm etwas ausmache, wenn er, Bürki, von ihm die 1 übernehme, zeigt, welch anständiger Kerl er ist. Natürlich hatte Weidenfeller nichts dagegen. Er sagt: «Die Nummer 1 auf dem Rücken zu tragen, tut Roman gut, er spielt nun sehr konstant.»
Was aber sind die wahren Gründe für Bürkis Hochform? Ist es der Konkurrenzkampf mit Hitz? Oder das Vertrauen von Favre? «Weder noch», sagt Patrick Foletti, der Trainer der Schweizer Nationalgoalies. «Roman hat hart an sich gearbeitet. Er ist viel ausgeglichener und kann jetzt mit seinen Emotionen umgehen.» Ist Bürki so gut wie noch nie? «Nein», sagt Foletti, «er war bereits in der Schweiz und beim SC Freiburg sehr stark. Wir sehen aber den besten Bürki, was Dortmund betrifft.»
Deshalb jubeln ihm nun auch jene BVB-Anhänger, die ihn einst ausgepfiffen hatten, wieder zu. Bürki gesteht: «Es bedeutet mir viel, wenn die Fans meinen Namen rufen.» Er ist mit sich und den Fans im Reinen. Auch dank seinem Umfeld mit Vater Martin und einem Mentaltrainer hat Bürki gelernt, mit Kritik umzugehen. Ersterer hatte ihm einst sogar den Weg zum Profi geebnet, als er den Filius dazu zwang, ein Probetraining bei YB anzunehmen. Roman hatte sich geweigert, weil er vom FC Thun eine Absage erhalten hatte und befürchtete, erneut zu versagen. «Mein Vater hat meine Karriere gerettet», sagt Bürki heute.
Diese hat jetzt richtig Fahrt aufgenommen. Und eigentlich müsste der 27-Jährige in dieser Form auch im Tor der Nati stehen. Doch Bürki weiss, dass er nicht an Sommer vorbeikommt, solange dieser so gut spielt wie bei der WM. In Dortmund aber, da ist er gesetzt. Morgen wird er in Wolfsburg sein 137. Bundesligaspiel bestreiten. Und sich vor dem Anpfiff wie immer den Matchball greifen. Egal, wo der sich gerade befindet. Ob Favre dieses spezielle Ritual seines Goalies schon kennt? Wenn nicht, kann er das Filmchen auf Twitter abrufen. Es ist köstlich.
Er brauche eine neue Herausforderung, sagte Marwin Hitz, als er im Sommer nach fünf Jahren den FC Augsburg verliess und bei Borussia Dortmund einen Dreijahresvertrag unterschrieb. «Ich bin hierhergekommen, um mich weiterzuentwickeln. Wie das aussehen wird, muss der Trainer entscheiden», sagte der 31-Jährige.
Die Aussage zeigte, dass er nicht allein aus finanziellen Gründen zum BVB wechselte, sondern durchaus die Chance sah, Roman Bürki im Tor zu verdrängen. Er verzichtete sogar auf die WM-Teilnahme mit der Schweiz, um vom ersten Training an dabei zu sein. Doch hält sein Konkurrent die Form, wird die Ersatzbank Hitz’ Platz bleiben. Immerhin: Am Mittwoch durfte er im Pokalspiel gegen Union Berlin (3:2 n. V.) für einmal ran. Er machte seine Sache gut. (aargauerzeitung.ch)