Zuletzt hatte sich Tasmania Berlin besorgt gezeigt. Der schlechteste Verein der Bundesliga-Geschichte – ein fragwürdiges Alleinstellungsmerkmal – sorgt sich angesichts des desolaten FC Schalke 04 um seinen Rekord. «Der gehört zur Tasmania-Geschichte», betonte der Vorstandsvorsitzende Almir Numic gegenüber der Agentur SID. Sagenhafte 31 sieglose Bundesliga-Partien reihten die Berliner 1965/66 aneinander, Schalke steht «erst» bei 24.
Doch beim Tabellenletzten aus dem Ruhrpott liegt auch neben dem Platz einiges, ja fast alles, im Argen. «Sportlich am Ende, wirtschaftlich am Ende, Kabine am Ende, Führung am Ende», listet die «Bild»-Zeitung auf und schreibt davon, dass nun «der Tiefpunkt vom Tiefpunkt endgültig erreicht» sei.
Auch das Fachblatt «Kicker» schreibt in einem Kommentar von der «Lachnummer Schalke». Wer traurig sei, weil er derzeit wegen Corona nicht ins Kino gehen könne, brauche sich zur Unterhaltung nur den Schalke-Blockbuster dieses Dienstags zu Gemüte führen.
Tatsächlich überschlugen sich die Ereignisse in Gelsenkirchen gestern. Vom Technischen Direktor Michael Reschke trennte sich der Klub, der Vertrag mit dem im Sommer engagierten Stürmer Vedad Ibisevic wird Ende Jahr aufgelöst, Amine Harit und Nabil Bentaleb – letzterer an seinem 26. Geburtstag – wurden zu Einzeltrainings verknurrt.
ℹ️ @nabilbentaleb42 und @Amine_000 trainieren bis auf Weiteres individuell - der Vertrag mit Vedad #Ibisevic wird zum 31.12.2020 aufgelöst.
— FC Schalke 04 (@s04) November 24, 2020
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Es sind nicht die Massnahmen, die zu denken geben, sondern deren Auslöser. Nach der 0:2-Pleite gegen Wolfsburg vom Samstag kriegten sich Ibisevic und Co-Trainer Naldo am Sonntag in die Haare. Sie lieferten sich derart ein Handgemenge, dass das Training abgebrochen wurde. Harit war gegen Wolfsburg noch vor der Pause ausgewechselt worden und soll sich deshalb respektlos mit Trainer Manuel Baum angelegt haben. Bentaleb sorgt immer wieder für Unruhe – schon jetzt ist klar, dass der «Stinkstiefel» (Kicker) im Sommer keinen neuen Vertrag mehr erhalten wird.
Mittlerweile ist es schon so, dass die Verantwortlichen Überwachungskameras im Stadion sichten. Dank deren Aufnahmen konnten sie einen weiteren Brand löschen, nämlich die Behauptung widerlegen, dass der enttäuschte Benjamin Stambouli nach seiner Auswechslung am Samstag die Arena vorzeitig verlassen habe. Es gebe Zeugenaussagen und Videoaufnahmen, die zeigen würden, dass Stambouli das Stadion erst weit nach Schlusspfiff mit zwei Mitspielern verlassen habe, teilte Schalke mit.
Wenigstens haben sie noch Geld für die Stromrechnung gefunden, könnte man spotten. Schliesslich hat der Klub rund 240 Millionen Euro Schulden angehäuft. Wohl nur dank einer Bürgschaft des Bundeslands Nordrhein-Westfalen atmet der Klub noch. Die Amtszeit des Unternehmers Clemens Tönnies als Vorsitzender des Aufsichtsrats endete im Juni nach zwei Jahrzehnten.
Hatte er sich nach rassistischen Äusserungen im Vorjahr noch im Amt halten können, wurde Tönnies nun ein Corona-Ausbruch in einem seiner Schlachthöfe zum Verhängnis. Im Zuge des Falls kamen Geschäftsmethoden zum Vorschein, die Politiker dazu brachten, für Tönnies eine Haftstrafe zu fordern. Er wurde für Schalke zur Hypothek.
Dabei ist es wirklich nicht lange her, als es um den Klub bestens bestellt war. Im Sommer 2018 strahlte der Himmel über Gelsenkirchen im schönsten Königsblau. Dank Rang 2 hinter Serienmeister Bayern München zog der FC Schalke 04, der Stolz der ärmsten Stadt in ganz Deutschland, in die Champions League ein. Es war der Anfang vom Ende. Zwei Jahre später liegt der Klub in Trümmern.
Schon die Saison darauf verlief enttäuschend. Schalke belegte stets einen Platz im hinteren Mittelfeld der Bundesliga-Tabelle, beendete die Spielzeit auf Rang 14. In der Champions League überwinterten die «Knappen», doch in den Achtelfinals war Schluss. Mit einem Mann mehr brachte Schalke im Hinspiel gegen Manchester City eine 2:1-Führung nicht nach Hause, verlor noch 2:3. Und wurde im Rückspiel in England beim 7:0-Sieg der «Citizens» nach allen Regeln der Kunst auseinandergenommen.
Neue Hoffnung musste her und die kam im Sommer 2019 mit David Wagner. Als Spieler gehörte er zu den legendären Schalker «Eurofightern», die 1997 den UEFA-Cup gewannen. Als Trainer hatte er den krassen Aussenseiter Huddersfield Town in die Premier League gecoacht. Und tatsächlich ging es unter Wagner zunächst wieder aufwärts: Die Hinrunde schloss Schalke auf Rang 5 ab, punktgleich mit dem Erzrivalen Borussia Dortmund.
Schalke-Fans sind aus Erfahrung hart im Nehmen. Doch was dann kam, hätte sich auch der hinterste und letzte Anhänger nicht vorstellen können. Eine sportliche Talfahrt setzte ein, die nun nur deshalb gestoppt wurde, weil es bis Ende Saison nicht weiter hinunter gehen kann als bis auf den 18. und letzten Platz.
Wagner ist längst nicht mehr da. Zwar gelang es ihm auf wundersame Weise, trotz 16 sieglosen Partien in Folge im Amt zu bleiben. Doch als Schalke auch die ersten zwei Spiele der laufenden Saison verlor, musste Wagner gehen. Er kassierte zum Abschluss eine 0:8-Abfuhr bei Bayern München und verlor zuhause gegen Werder Bremen, das sich mit Müh und Not in der Relegation gerettet hatte.
Doch Besserung trat nicht ein, das Warten auf den ersten Bundesliga-Sieg seit dem 17. Januar 2020 dauert an. Selbst im DFB-Pokal gegen das viertklassige Schweinfurt musste Schalke zittern, als es 0:1 in Rückstand geriet. Am Ende siegte man 4:1, immerhin wieder einmal ein Erfolgserlebnis. Nachhaltige Wirkung hatte es nicht.
Stürmer Mark Uth machte nach dem 0:2 zuletzt gegen Wolfsburg keine Mördergrube aus seinem Herzen. «Ich bin so bedient, das können Sie sich gar nicht vorstellen. Es ist so traurig, jedes Mal machtlos Fussball zu spielen», gab er im «Sky»-Interview schonungslos zu. «Wir kommen jedes Mal einen Schritt zu spät, jedes Mal. Wir kommen nicht mal in die Zweikämpfe rein, ich weiss nicht, wie wir so ein Spiel gewinnen wollen. Ich könnte in die Kabine und einfach nur weinen.»
Das Interview lässt so Tief blicken. Ich will auch nie wieder hören das den Spielern die Situation am Arsch vorbei geht. Sie wollen ja, aber es geht nicht, weil sie im Kopf einfach kaputt gemacht wurden durch die 24 Spiele. Es tut einfach so weh. #S04 pic.twitter.com/wKuUx1psOD
— Bendix (@Bendix1904) November 21, 2020
Es ist diese Ratlosigkeit, die zur Hoffnungslosigkeit führt. Wie um alles in der Welt soll es dieser über die Plätze der Republik stolpernden Mannschaft, wie soll es diesem finanziell taumelnden und personell geschwächten Klub gelingen, den Abstieg zu verhindern?
Gestern musste auch noch Verteidiger Bastian Oczipka das Training wegen einer Verletzung abbrechen. Der 31-jährige Routinier war hinten links gesetzt, auch weil im Kader schlicht keine taugliche Alternative vorhanden ist. Vor dem Auswärtsspiel beim Champions-League-Teilnehmer Borussia Mönchengladbach am Samstag deutet wenig auf ein Ende der Serie der sieglosen Spiele hin. Selbst wenn Tasmania Berlin in der Hauptstadt die Daumen drückt.
Für die «Bild»-Zeitung scheint die Sache schon gelaufen zu sein. Sie zieht einen Vergleich mit den Präsidentschaftswahlen in den USA: «Dass der FC Krise 04 den Abstieg in die 2. Liga noch verhindern kann, ist aktuell unwahrscheinlicher als ein nachträglicher Wahl-Sieg von Donald Trump.»