Die Schweiz und die Nations League, vielleicht ist das am besten zu vergleichen mit einer Ferienliebe im Sommer. Am Anfang geht alles schnell, die Gefühle sind intensiv, die Zeit soll am liebsten stillstehen, der Abschied tut weh und die Erinnerungen sind schön. Doch dann, wenn es zu einem Wiedersehen im Alltag kommt, ist alles nicht mehr so prickelnd.
2018, bei der ersten Austragung der Nations League flog die Schweiz über ihre Gegner Island und Belgien hinweg. Vor allem das 5:2 gegen den Weltranglistenersten war rauschend, die Nati wurde mit dem Finalturnier belohnt.
Im Juni 2019 war das. Jetzt ist wieder Nations League, trotz Corona, es ist gewöhnungsbedürftig und die Spiele finden ausschliesslich darum statt, weil die Uefa auf die vielen Millionen an TV-Geldern angewiesen ist – und statt eines 6:0 gegen Island verliert die Schweiz in der Ukraine 1:2. Prickelnd ist anders.
Nun folgt das Heimspiel gegen Deutschland. Es ist, immerhin, ein Spiel gegen eine Weltklasse-Equipe. Ein Spiel, das die Schweiz und ihr Nationaltrainer Vladimir Petkovic aber auch wieder dafür nutzen will, um an ihrem Stil zu feilen.
Eine der wenigen Erkenntnisse aus der Niederlage in der Ukraine ist diese: Die Schweizer Nati probt das Pressing, kompromisslos, manchmal nimmt sie sogar explizit das Risiko in Kauf, ins Verderben zu laufen. Es ist ein Tanz auf schmalem Grat. Aber – und deshalb ist das konsequente Testen eben richtig – diese Art des Fussballs funktioniert nur, wenn das ganze Team die gleichen Gedankengänge hegt. Etwas, das alleine schon wegen der fehlenden regelmässigen Trainings der Nationalteams viel schwieriger zu realisieren ist als auf Klubebene.
Man muss sich nicht gleich mit Bayern München vergleichen wollen. Zu imposant sind die Bayern in dieser Coronasaison zu den Titeln in der Bundesliga, des DFB-Pokals und vor allem der Champions League gerauscht.
Aber ein bisschen Bayern soll’s dann doch sein. Und es muss auch noch nicht zwingend schlimm sein, wenn sowohl Trainer Petkovic als auch verschiedene Spieler die «letzte Konsequenz» und den letzten «Willen» in einigen Aktionen noch vermissen. Hauptsache, die Akteure lernen, in welchen Situationen es sich tatsächlich lohnt, Risiken einzugehen. Spätestens an der EM dürfen Fehler wie in der Ukraine dann nicht mehr passieren.
Auch die Deutschen dürften am Sonntag offene Räume wohl gnadenlos ausnutzen mit ihren schnellen Stürmern um Leroy Sané oder Timo Werner. Und doch macht es durchaus Sinn, auch den Weltmeister von 2014 früh und heftig unter Druck zu setzen. Denn die umgebaute deutsche Verteidigung um Süle, Can und Rüdiger ist bei weitem nicht so stilsicher wie der Rest der Mannschaft.
Unbeachtet der Schweizer Pressinglust, ein Problem bleibt auch im Jahr 2020: Was tun, wenn die zuweilen genialen Einfälle von Xherdan Shaqiri fehlen? Wenn der Gegner kompakt steht, fehlt der Schweiz zu häufig die Kreativität, die es bräuchte, um Chancen zu kreieren.
Man kann diese Erkenntnis nun langweilig finden. Oder die Diskussionen verfrüht, weil es in diesem Jahr bis anhin nur ein einziges Länderspiel gab. Doch vielleicht würde es sich gleichwohl lohnen, wenn Petkovic einen «Plan B» hätte für Shaqiri. Der wirblige Renato Steffen beispielsweise erfreute sich zuletzt einer tollen Form, er hätte einmal eine echte Chance verdient. Auch Breel Embolo hat in Gladbach hinter den Stürmern schon tolle Auftritte hingelegt, überzeugender jedenfalls als mit der Nati auf der Seite.
Und Shaqiri selbst? Sein letztes Länderspiel datiert vom 9. Juni 2019, Nations League Finalturnier gegen England, es scheint eine Ewigkeit her. Die Verletzungen häufen sich. Die Aussichten auf Einsätze in Liverpool werden nicht grösser. Dafür diese Sorge: Eine Nati noch auf Monate hinaus ohne Shaqiri.
Die Erinnerungen an ihn verblassen wie jene an eine Sommerliebe.