Wenn in Frankreich von der «Nummer 10» die Rede ist, dann verstehen auch Jahrzehnte später alle. Gemeint ist Michel Platini, 64. Der Fussballer war in Frankreich das, was in Deutschland Franz Beckenbauer: das Genie, die Lichtgestalt des nationalen Fussballs.
Aber jetzt kämpft Platini um seine Ehre. In Paris hat er Ende 2018 Klage gegen «X», also gegen unbekannt, wegen «falscher Anschuldigung» und «Verschwörung zu falscher Anschuldigung» eingereicht. Diese Klage wurde mittlerweile von der französischen Justiz formell akzeptiert. Und jetzt soll, wie Recherchen von CH Media ergeben, die Schweizer Justiz in dieser Sache ermitteln.
Ingrid Ryser, Informationschefin des Bundesamts für Justiz (BJ), sagt: «Das BJ hat in dieser Sache im Februar 2020 ein Ersuchen aus Frankreich erhalten. Konkret ersuchen die französischen Behörden die Schweiz um die sogenannte stellvertretende Strafverfolgung.» Die Schweiz habe «das Ersuchen geprüft und eine Rückfrage an Frankreich gestellt, die bis heute unbeantwortet geblieben ist».
Frankreich bittet die Schweiz also, das Strafverfahren zu führen. Dies deshalb, weil sich die zu befragenden Akteure in der Schweiz aufhalten. Wichtig im Verfahren, das eine noch zu benennende Schweizer Staatsanwaltschaft führen soll, werden zwei alte Bekannte: Bundesanwalt Michael Lauber und FIFA-Chef Gianni Infantino.
Denn der Grund für Platinis Klage ist eine Strafverfolgung, die Bundesanwalt Lauber seit dem 25. September 2015 gegen den damaligen FIFA-Präsidenten Sepp Blatter führt. Unter anderem ging es um eine Zahlung von zwei Millionen Franken, welche die FIFA unter Blatter im Februar 2011 an Platini geleistet hatte.
Laut Blatter und Platini handelte es sich bei der Zahlung um ein Honorar aus früheren Jahren, das die FIFA dem Franzosen schuldig war. Die Bundesanwaltschaft aber sprach 2015 von einer angeblich «treuwidrigen Zahlung».
Das Verfahren richtete sich formal zwar nur gegen Blatter, aber indirekt traf es auch Platini. Beide wurden vom FIFA-Ethikkomitee für Jahre gesperrt. Besonders hart für Platini war: Er hatte kurz zuvor seine Kandidatur für die Nachfolge von Sepp Blatter als FIFA-Präsident angekündigt. Und seine Chancen galten als hervorragend, als Uefa-Präsident und FIFA-Vize war er gut platziert. Aber jetzt musste er seine Kandidatur zurückziehen, und an seiner Stelle wurde im Februar Gianni Infantino FIFA-Boss. Pikant: Infantino war damals Platinis Generalsekretär bei der Uefa.
Jetzt will Platini wissen, wie es zu diesem, aus seiner Sicht, «Rufmord» kam. Laut einem Vertrauten versteht Platini nicht, was an der Zahlung, welche die FIFA gegen Rechnung leistete, nicht korrekt sein soll. Er ist der Ansicht, dass jemand aus dem Umfeld der Fussballverbände die Zahlung wider besseres Wissen dazu benutzte, um bei der Bundesanwaltschaft ein Verfahren in Gang zu setzen und ihn als Blatter-Nachfolger zu verhindern.
Dieses Verfahren ist seit fast fünf Jahren bei Bundesanwalt Lauber hängig. Irgendwelche Fortschritte sind nicht sichtbar. Blatter und Platini wurden bisher nur ein einziges Mal befragt: ganz zu Beginn des Verfahrens.
Zum Newssender France Info sagte Platini im letzten November: «Ich weiss, wer versucht hat, mich auszubooten, aber jetzt ist es an der Justiz, Klarheit zu schaffen.»
In der Schweiz soll jetzt eine Reihe von Leuten befragt werden, die Kenntnis von den Vorgängen haben könnten. Dazu gehören zweifellos FIFA-Boss Infantino und Bundesanwalt Lauber. Die zwei kennen sich, sie haben sich bekanntlich ab Frühling 2016 mehrmals im Geheimen getroffen.
Bestätigt sieht sich Platini jetzt durch einen Bericht der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA). Diese Verfügung zum Disziplinarverfahren gegen Bundesanwalt Lauber kommt zum Schluss, dass im Juli 2015 der Oberwalliser Staatsanwalt Rinaldo Arnold als Emissär von Infantino bei Bundesanwalt Lauber vorstellig wurde.
Infantino habe damals «eine Kandidatur für das FIFA-Präsidium ins Auge» gefasst. Er sei, so der Aufsichtsbericht, interessiert gewesen, zu erfahren, ob die Bundesanwaltschaft in den kurz zuvor eröffneten FIFA-Verfahren auch gegen Platini und Blatter ermittle, seine potenziellen Widersacher um den Chefposten.
Die FIFA dementierte kürzlich diese Schlussfolgerung von Laubers Aufsicht. Infantino habe mit dem ominösen Juli-Treffen 2015 in Laubers Büro absolut nichts zu tun, er habe damals auch noch gar nicht FIFA-Chef werden wollen, sondern seinen Chef Platini unterstützt. Auch Lauber streitet alles ab, er will vor Gericht gegen die Aufsichtsverfügung vorgehen. Es gilt für alle Genannten die Unschuldsvermutung.