Es gab einmal eine Zeit, da galt Roger Federer als unbesiegbar, wenn über New York die Nacht hereinbricht. In der Stadt, von der es heisst, sie schlafe nie, war er es, der seinen Gegner mit hinreissendem Tennis schlaflose Nächte bereitete. Er war der König der Nacht. Das ist lange her.
Federers letzter von fünf US-Open-Siegen liegt bereits elf Jahre zurück. Die Erinnerungen daran sind längst verblasst. Sein Bezwinger im Vorjahr war der Australier John Millman. Nun scheiterte Federer in den Viertelfinals mit 6:3, 4:6, 6:3, 4:6, 2:6 am Bulgaren Grigor Dimitrov. Es war nicht so, dass Federer die Zuschauer zwischenzeitlich nicht von den Sitzen riss. Aber meistens glich es Arbeit, mit wenig Esprit, kaum Glanz. Es schien, als fehle Federer die Inspiration. Aber nicht nur das.
Bei seiner ersten Niederlage im achten Duell gegen den 28-jährigen Dimitrov machten Federer auch körperliche Defizite einen Strich durch die Rechnung. Spätestens, nachdem er sich zu Beginn des fünften Satzes am Rücken hatte behandeln lassen müssen, spielte der König der Nacht wie ein Bettler. Indizien dafür, dass der Baselbieter sich nicht in der Verfassung befindet, die es ihm erlaubt hätte, die US Open einen Monat nach seinem 38. Geburtstag noch einmal zu gewinnen, gab es indes bereits viel früher im Turnierverlauf. Er verlor in den beiden ersten Runden gegen zwei Mitläufer jeweils den Startsatz. Nicht, weil diese überragend gespielt hätten. Sondern weil Federer mit sich, mit seinem Spiel, mit den Bedingungen, den Gegnern – ja mit allem haderte.
Vor dem Turnier hatte er noch Optimismus verbreitet. Körperlich habe er sich vor den US Open schon seit Jahren nicht mehr so gut gefühlt. Eine Einschätzung, die schon nach dem ersten Satz im Turnier zur Makulatur wurde. Federer sprach von fehlender Energie, von einem Horror-Start, den er sich nicht erklären könne und er monierte, die Bedingungen seien langsamer, als er es sich erhofft hatte. Es sind Aussagen, die in der Retrospektive so wirken, als hätte er bereits geahnt, dass es schwierig werden würde mit dem Turniersieg. Selten hat man Roger Federer bei einem Grand-Slam-Turnier derart früh und offen über Ratlosigkeit und Frustration sprechen hören wie in New York.
Auch die klaren Siege gegen den Briten Dan Evans und David Goffin in der dritten und vierten Runde gaben ihm offenbar nicht das Vertrauen zurück. Gegen Goffin spielte er zwar ansprechend, doch Federer war auch selbstkritisch genug, um zu bedenken zu geben, dass der Belgier ziemlich von der Rolle gewesen sei. Stattdessen enervierte er sich über den Verdacht, er werde von den Organisatoren bevorteilt und habe darum gebeten, gegen Evans und Goffin, bereits um die Mittagszeit zu spielen, um der Hitze, Hektik und Feuchtigkeit der New Yorker Nacht auszuweichen.
Er, der König der Nacht – im Vorprogramm, statt zur Hauptsendezeit. Und so reagierte der 20-fache Grand-Slam-Sieger für seine Verhältnisse fast schon ungehalten, als er sagte: «Ich habe diesen Mist schon zu oft gehört und habe es satt.» Er laufe auch um vier Uhr in der Nacht auf den Platz, wenn das von ihm verlangt werde.
Das wurde es natürlich nicht. Federer kehrte für die Viertelfinals ins Hauptprogramm zurück, das Spiel in der Nacht ausgetragen. Vielleicht schwang auch die Hoffnung mit, der erfolgreichste Spieler der letzten zwei Jahrzehnte könnte noch einmal die Zeit zurückdrehen und noch einmal in die Rolle des Königs der Nacht schlüpfen. Doch es wurde zum Mitternachtsdrama, in dem Roger Federer die ungewohnte Rolle des Bettlers zufiel.
Den Verdacht, die Niederlage im Wimbledon-Final gegen Novak Djokovic, wo er vor anderthalb Monaten im fünften Satz zwei Matchbälle vergeben hatte, habe tiefere Spuren hinterlassen, wies er indes vehement von sich. «Das war definitiv nicht der Fall. Es ging um das Hier und Jetzt. Und hier war ich nicht gut genug. Punkt.»
Roger Federer feierte im August seinen 38. Geburtstag. Auch deshalb umweht jeden seiner Auftritte ein Hauch von Endgültigkeit. Die Frage, ob er sich fähig fühle, noch einmal ein Grand-Slam-Turnier zu gewinnen, beantworte er mit eine Gegenfrage: «Haben Sie eine Kristallkugel?» Und führte dann doch länger aus: «Man weiss nie. Natürlich hoffe ich es. Ich weiss, viele sehen das etwas anders, aber es war trotzdem eine positive Saison. Ich werde wieder aufstehen.»
Weitermachen. Kämpfen – es sind Wörter, die nicht in das Vokabular eines Königs zu passen scheinen. Doch Federer hat in der Vergangenheit oft genug bewiesen, dass es jene Tugenden sind, die ihn zu dem gemacht haben, der er ist. Einer der erfolgreichsten Spieler der Tennis-Geschichte. Doch der König der New Yorker Nacht, der ist er schon lange nicht mehr.
Lang lebe der König, es lebe der König!
Roger Federer ist nicht mehr der Regent, der er war. Aber er ist König. Und er wird es bleiben, so lange er spielt. Er ist nicht mehr so erfolgreich wie früher, aber er sorgt immer noch für magische Momente. Das Publikum ist auf seiner Seite. Die Leute wollen ihn sehen.
Andere mögen seine Rekorde brechen. Allenfalls der Kämpfer Nadal. Ich möchte es ihm sogar gönnen. Doch er wird der Kämpfer bleiben und nicht König werden. Nicht, so lange Federer spielt.