Ich muss gestehen, ich mochte Andy Murray nicht immer. Ich respektierte stets sein Tennisspiel, doch mit seiner Art auf dem Platz konnte ich oft nicht viel anfangen. Ich störte mich am ständigen Hadern und Ausrufen des Schotten.
Doch je länger seine Karriere dauerte, desto mehr wuchs mir das vierte Mitglied der «Big Four» ans Herz. Ich merkte, dass dies einfach Murrays Art ist, mit dem Druck und dem Geschehen auf dem Court umzugehen. Und ich realisierte, dass sich hinter dieser Art ein sympatischer Typ mit einem ausgesprochenen Sinn für Humor verbirgt.
Deshalb hat mich die Nachricht von heute früh, wie viele Tennisfans auf der ganzen Welt getroffen. Murray wird seine Karriere noch in diesem Jahr beenden. Zu gross sind seine Probleme mit der Hüfte. Ich werde ihn, wie viele andere Tennis-Fans auf der ganzen Welt, schmerzlich vermissen – aus verschiedenen Gründen.
13 Jahre und mehr dominieren die «Big Four» schon das Herrentennis. Seit dem French Open 2005 haben Roger Federer, Rafael Nadal, Novak Djokovic und Andy Murray 50 von 55 Grand-Slam-Titeln gewonnen. Es ist eine imposante Ära, die sich langsam aber sicher dem Ende zuneigt. Roger Federer ist 37 Jahre alt, Rafael Nadal 32, Novak Djokovic und Andy Murray sind 31.
Alle haben sie schon grosse Probleme mit ihrem Körper gehabt. Bei Federer war es zuerst der Rücken, dann das Knie. Bei Nadal schon ziemlich jeder Muskel, den man überhaupt verletzen kann. Djokovic hatte mit dem Ellenbogen zu kämpfen. Und bei Murray ist es die Hüfte. Immer kamen sie zurück. Bis jetzt. Der Rücktritt von Sir Andy Murray ist ein unangenehmer Weckruf, der zeigt: Die «Big Four» sind nicht ewig. Das Ende ihrer Ära kommt immer näher.
Die Karriere von Andy Murray ist auch eine klassische Aussenseiter-Geschichte. 2005 betrat er die ATP-Tour. Er war äusserst talentiert, ein zäher Kämpfer. Doch ihm schien das gewisse Etwas zu fehlen, um Federer, Nadal und Djokovic das Wasser reichen zu können. Meist waren Halbfinal oder Final die Endstationen. Man fragte sich, ob er je einen Grand-Slam-Titel gewinnen könne.
Diese Frage beantwortete der zum Ritter geschlagene Schotte 2012. Erstmals zog er in Wimbledon in den Final ein, wo er aber Roger Federer in vier Sätzen unterlag. Die Revanche folgte wenige Wochen später an gleicher Stelle. Im Olympiafinal in London bezwang ein dominanter Murray Federer mit 6:2, 6:1 und 6:4 und holte sich seinen ersten grossen Titel. Am folgenden US Open legte er gleich die erste Grand-Slam-Trophäe nach. Damit erlöste er eine ganze Nation: Es war der erste Major-Erfolg eines Briten seit 76 Jahren.
Fortan war Murray ein Nationalheld. 2013 zementierte er diesen Status mit dem ersten britischen Wimbledonsieg seit 1936. 2015 holte er für und mit Grossbritannien den Davis Cup. 2016 legte er einen zweiten Wimbledontitel und einen zweiten Olympiasieg nach und erklomm den ersten Platz der Weltrangliste.
Gerade weil Murray lange unten durch musste, hatten diese Erfolge in der Ära von Federer, Nadal und Djokovic eine noch grössere Bedeutung.
2014 verpflichtete Murray die ehemalige Weltranglistenerste Amélie Mauresmo als Trainerin. Erstmals in der Tennisgeschichte trainierte eine Frau einen männlichen Top-10-Athleten. Die harsche Kritik an dieser Entscheidung habe ihm die Augen geöffnet, wie gross die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen immer noch sei, erklärte Murray später.
Der Schotte war immer ein Fürsprecher für gleiche Preisgelder bei Männern und Frauen. Auch sonst verpasste er keine Gelegenheit um auf Ungerechtigkeiten hinzuweisen und Reporter zu korrigieren, wenn sie mal wieder die Leistungen der Frauen vergassen. So machte er sich auch auf der WTA-Tour äusserst beliebt.
Why is Johnson Thompson gold medal story headline number 22 on the BBC sport homepage right now? Complete joke pic.twitter.com/MtabtRUYMo
— Andy Murray (@andy_murray) March 7, 2015
Auf dem Platz zeichnete sich Murray durch seinen unglaublichen Kampfgeist aus. Egal wie aussichtslos der Spielstand, egal wie gross die Distanz zum Ball: Der Schotte gab niemals auf. Und weil ein gesunder «Sir Andy» einer der schnellsten Athleten und besten Defensivkünstler auf der Tour war, lohnte sich das meist auch – und sorgte für einige spektakuläre Ballwechsel.
Trocken und dunkel. Murrays Humor entspricht dem eines typischen Briten. Insbesondere in den sozialen Medien, manchmal aber auch auf dem Platz, sorgte «Muzz» immer wieder für grosser Lacher. Einige Beispiele:
As you can see I'm chuffed to bits with my Christmas jumper #FireInTheBelly pic.twitter.com/qImylslFWG
— Andy Murray (@andy_murray) December 26, 2014
@rogerfederer let me know if you ever want to go down this route.. Think it would be good for your image pic.twitter.com/8648JpMHC0
— Andy Murray (@andy_murray) 12. März 2015
Zurück zum Tennis. Gegen Murray ans Netz vorzustossen war immer mit einem gewissen Risiko verbunden. Denn der Schotte spielte die wohl besten Lobs der Männertour. Sie waren hoch, im Feld und hatten viel Spin. Auch für die grössten Gegner waren sie kaum zu retournieren.
Wie die Pressekonferenz von heute Morgen gezeigt hat, ist Andy Murray auch ein extrem emotionaler Mensch. Einer, der sich nicht verstellt. Immer wieder bricht «Sir Andy» nach Spielen, bei Siegerehrungen oder eben auch vor Journalisten in Tränen aus. Diese Art von ehrlichen, direkten Emotionen werden auf der Tour fehlen.
An emotional Andy Murray had to walk off before coming back to announce he's planning to retire because of his hip injury. pic.twitter.com/AMWP4UpkV9
— ESPN (@espn) January 11, 2019