Der Fussball gehört seit eh und je zum Leben des 57-Jährigen. Der Solothurner hat nicht nur Erfahrung mit Fussballerinnen – er trainierte auch über mehrere Jahre hinweg Männer-Teams. Charly Grütter kennt die Unterschiede der beiden Geschlechter bestens, und genau darum geht es im Interview.
*Charly Grütters auslaufender Vertrag bei YB wird per Ende Saison nicht mehr verlängert. Das hat der Verein am 27.04.2021 bekanntgegeben. Dieses Interview wurde noch vor der Bekanntgabe geführt.
Sie sind Cheftrainer der YB-Frauen, Auswahltrainer des Schweizer U-15-Frauen-Nationalteams und arbeiten Vollzeit als Anlageberater bei einer Bank in Aarau. Sie fahren viermal die Woche von Aarau nach Bern. Was begeistert Sie am Frauenfussball in der Bundesstadt?
Charles Grütter: Es hat nichts mit der Bundesstadt zu tun, sondern mit dem Fussball als solchem. Ein grosser Teil meines Lebens besteht aus Fussball. Bei YB hat man eine professionelle Struktur, die mir sehr gefällt. Wir haben die Möglichkeit, regelmässig im Wankdorf zu spielen und zu trainieren. Seit 42 Jahren stehe ich praktisch jeden Abend auf dem Fussballplatz; früher als Spieler, heute als Trainer. Für mich ist der Weg kein Hindernis, solange das ganze Rundherum stimmt.
Wie viele Ehe-Krisen haben Sie deswegen schon überwunden?
(lacht) Meine Frau und ich haben unter diesen Bedingungen geheiratet. Ich war damals Fussballer in der Nationalliga beim BSC Old Boys Basel. Meine Frau ist sich gewohnt, dass ich nach der Arbeit direkt ins Training fahre und spät abends zurückkehre.
Sie meinten mal, Frauen seien viel dankbarer als die Männer, dafür aber nicht so hungrig. Stehen Sie auch heute noch hinter dieser Aussage?
Frauen sind extrem dankbar. Als Beispiel: Wenn der Rasen zu hoch ist, beschweren sich einige Fussballer, weil sie finden, der Platz sei unbespielbar. Frauen denken in diesem Aspekt völlig anders. Sie legen eher Wert auf qualitativ gut organisierte Trainings. Auch wenn ihnen nur ein halber Platz zur Verfügung gestellt wird, sind sie zufrieden.
Gleich geht's weiter mit Charles Grütter, vorher ein kurzer Werbe-Hinweis:
Und nun zurück zum Interview ...
Woran erkennen Sie, dass Frauen weniger hungrig sind?
Es gibt Frauen, die meinen, ein Profivertrag sei gleichbedeutend mit Millionen auf dem Konto. Dabei entspricht das überhaupt nicht der Realität. Ich versuche ihnen die positiven Aspekte aufzuzeigen. Mit einem Profivertrag im Ausland können sie beispielsweise eine neue Sprache lernen, ein Netzwerk aufbauen oder ein Auslandssemester absolvieren. Dieser Nutzen ist sehr wertvoll und darf nicht mit viel Geld verglichen werden.
Wie meinen Sie das?
Es darf nicht sein, dass sie fünfmal pro Woche im Training erscheinen, mit 25 Jahren die Karriere beenden und sich damit zufriedengeben. All diese Tage, die sie für Trainings und Spiele opfern, haben einen Nutzen. Ihnen muss klar sein, dass sie durchaus profitieren können – selbstverständlich in einem anderen Ausmass als Männer. Es bringt nichts, Karrieren zu vergleichen.
Wie versuchen Sie ihrer Mannschaft diesen Nutzen aufzuzeigen?
Mit Beispielen wie Carola Fasel, die letzten Sommer von YB nach Nancy wechselte. Fakt ist, sie lernt eine neue Sprache, sie studiert dort und lernt eine neue Kultur kennen. Werfen wir doch einen Blick auf die grossen Namen wie Alisha Lehmann, Ramona Bachmann oder Noëlle Maritz. Diese Spielerinnen haben auch alle in der Schweiz gestartet. Ich weiss, es ist ein schleichender Prozess und es wird sicherlich noch einige Jahre dauern, bis man dieses Hungergefühl erwecken kann. Trotzdem glaube ich daran. Meinen Arbeitskollegen auf der Bank sage ich immer wieder, sie sollen in den Frauenfussball investieren. Es wird noch Grosses auf uns zukommen.
Das sind aber grosse Worte, die Sie in den Mund nehmen. Das ist mir bewusst, aber ich behaupte das nicht aus heiterem Himmel. Ich durfte vor fünf Jahren das erste Mal bei der U16-Frauen-Nationalmannschaft die Selektionen mitentscheiden. Von 50 Spielerinnen waren gerade mal 20 in der engeren Auswahl. Heute sind es im Vergleich dazu 200 Frauen, die wir berücksichtigen. Die Qualität und das Interesse haben massiv zugenommen.
Ihre Augen funkeln, wenn Sie über den Frauenfussball sprechen. Was schätzen Sie an der Arbeit mit einem Frauenteam?
Die Frauen haben eine hervorragende Trainingspräsenz. Ich kann auf sie zählen, egal woher sie anreisen. Hinzu kommt, dass die Trainings immer sehr angenehm sind. Nach Fouls oder Fehlentscheidungen wird ohne gross zu diskutieren weitergespielt. Ich muss erwähnen, dass wir exakt dieselben Trainingseinheiten, Passformen und Übungen absolvieren wie die Männer. Wir dürfen die beiden Geschlechter aber nicht vergleichen. Frauen sind physisch und psychisch anders belastbar. Sie haben mit Problemen zu kämpfen, die man nicht ignorieren darf.
Ich gehe davon aus, Sie beziehen sich auf die Menstruation.
Genau, es ist wichtig, dieses Tabu-Thema zu brechen. Eine Spielerin meinte im Training mal zu mir: «Sprich nicht mit mir, ich bekomme meine Tage.» Sie hatte also schon Tage zuvor damit zu kämpfen. Diese Situation machte mich nachdenklich. Ich wollte unbedingt mehr darüber lernen und habe an einer Weiterbildung teilgenommen. Heute sind wir sogar so weit, dass die Spielerinnen von sich aus mit uns darüber reden. Das ist ein Meilenstein. Andere Vereine wie beispielsweise Chelsea arbeiten mit einer App, um nachzuvollziehen, welche Spielerin wie belastet werden darf. Anhand dieser Daten werden individuelle Trainings vorbereitet.
Ist es nicht anstrengend, sich um 24 Frauen zu kümmern?Nein. Es gibt aber verschiedene Herausforderungen, wie beispielsweise der Umgang mit Kritik. Spielerinnen im Plenum forsch zurechtzuweisen ist ein No-Go. Das muss ich individuell und in Ruhe kommunizieren. Ansonsten läuft der Trainer Gefahr, dass sich das halbe Team gegen ihn stellt. Meine Spielerinnen sind sehr kritikfähig, nicht aber vor den anderen. Ich denke, das wird sich ändern, da entwickeln sich die Spielerinnen immer weiter. Ganz generell wird der Konkurrenzkampf grösser und die Liga gewinnt immer mehr an Qualität.
Warum geschah das nicht schon früher?
Einige Frauen haben sich zu fest zurückgelehnt die letzten Jahre. Als ich Trainer war bei Aarau in der Nationalliga B, wurde während der Nati-Pause nicht trainiert. Die Spielerinnen meinten, das sei immer so gewesen. So stellte ich auch vor dem Trainingslager klar, dass dies nicht als Ferienlager oder Wohlfühloase angesehen werden soll, sondern dass wir dorthin gehen, um in erster Linie zu trainieren und uns sportlich zu verbessern.
Stellen wir uns vor, Pep Guardiola wirft Knall auf Fall den Bettel hin bei Manchester City, weil er sich dem Frauenfussball widmen will als Trainer. Worauf muss er sich einstellen?
(lacht) Mein wichtigster Hinweis an Guardiola wäre, dass er die Frauen so nehmen muss wie sie sind, mit all ihren Vor- und Nachteilen. Nur so wird er wertgeschätzt vom Team und viel Freude an der Zusammenarbeit finden. Im besten Fall würde er nie wieder zum Männer-Fussball zurückkehren wollen.
Das ist genau der grund, warum ich mittlerweile lieber frauenfussball schaue.
Spannend zum Lesen.