Um Roger Federer war es ruhig geworden in den letzten Monaten. Öffentliche Auftritte des Superstars gab es kaum, und wenn nur am Rande von Werbe- und PR-Aktionen. Informationen zu seiner Verletzung und dem Stand der Rehabilitation nach seiner zweiten Knie-Arthroskopie im Juni flossen spärlich, auch aus seinem direkten Umfeld war kaum etwas zu vernehmen.
Auch in den sozialen Medien äusserte sich Federer zurückhaltend, nachdem er im Lockdown im Frühjahr sehr aktiv gewesen war und unter anderem die Idee angestossen hatte, die ATP- und die WTA-Tour zu vereinigen. Er gratulierte im Oktober Rafael Nadal nach dessen 20. Grand-Slam-Sieg am French Open in Paris, zuletzt promotete er die Lancierung einer neuen RF-Kollektion in Zusammenarbeit mit seinem Ausrüster Uniqlo.
An der Verleihung der «Sports Awards» am Sonntagabend in Zürich, als die Besten der letzten 70 Jahre geehrt wurden, hatte Federer seinen ersten öffentlichen Auftritt seit Monaten. Einige seiner Aussagen liessen aufhorchen - und geben Anlass zu Spekulationen. «Ich hoffe, es gibt noch etwas von mir zu sehen im neuen Jahr», sagte Federer als er sich am Schluss der TV-Gala mit der Trophäe in den Händen bei seinen Kollegen und dem Publikum zuhause für die Wahl bedankte. «Aber wenn es das gewesen sein soll von mir, wer weiss, dann wäre es ein unglaublicher Schlusspunkt für mich hier an den Sport Awards.»
Deutete der 20-fache Grand-Slam-Sieger und für viele der Grösste, den dieser Sport je gesehen hat, seinen baldigen Rücktritt an? Kehrt Federer womöglich gar nie mehr auf den Tennisplatz zurück? Der 39-Jährige machte keinen Hehl daraus, dass sich sein am Australian Open geplantes Comeback verzögern dürfte, auch wenn das Turnier in Melbourne um drei Wochen verschoben wird. Klar würde er sehr gerne am Australian Open teilnehmen, sagte Federer, der das Turnier sechsmal gewann. Aber er werde nichts erzwingen. «Wenn ich es nicht schaffe, bricht für mich keine Welt zusammen.»
Ein märchenhaftes Comeback in Down Under wie vor vier Jahren, als Federer triumphal zurückkehrte und in einem epischen Final über fünf Sätze gegen Nadal seinen 17. Grand-Slam-Titel holte, wird es also nicht geben, denn Fakt ist: Auch sechs Monate nach der zweiten Arthroskopie im rechten Knie fühlt sich der Sieger von 103 ATP-Turnieren noch nicht 100-prozentig fit. Während der erste Eingriff im Februar nach dem «Match in Africa» auf eigenen Wunsch erfolgt war, weil Federer mit dem Zustand seines Knies seit längerem nicht zufrieden gewesen war, war der zweite im Juni nicht geplant und ein «mega Dämpfer».
Federer übt sich in Geduld, überstürzen will er nichts. «Ich nehme Schritt für Schritt.» Sein Fokus in den letzten Wochen und Monaten galt der Rehabilitation und dem physischen Grundlagen-Training, an intensives Tennis-Training war noch nicht zu denken. «Ob ich in zwei oder in sechs Monaten zurückkomme, macht für mich keinen Unterschied.» Wichtig für ihn sei, im Sommer und auch nach dem Ende seiner Karriere fit und gesund zu sein, so Federer.
Wimbledon und die Olympischen Spiele in Tokio im Juli heissen die grossen Ziele Federers. Das Turnier im Tennis-Mekka im Südwesten Londons ist für ihn eine Herzensangelegenheit. Dort schlug er 2001 auf dem Centre Court sein grosses Idol Pete Sampras, dort gewann er 2003 seinen ersten Major-Titel, dort ist er mit acht Triumphen der Rekordsieger. Und im All England Club sind seine Chancen am grössten, im Kampf um einen ganz grossen Titel noch einmal anzugreifen - einen Monat vor seinem 40. Geburtstag. Für Federer ist ein solches Szenario allerdings noch weit weg. Am Ende des Gala-Abends in Zürich sagte er: «Schön wäre es einfach, wenn ich noch einmal auf den Platz zurückkehren könnte.» (sda)