Rafael Nadal hat im Tennis alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Wirklich alles? Nein, nicht ganz! Ein Turnier leistet dem Sandkönig erbitterten Wiederstand. 20 Grand-Slam-Titel, 35 Masters-Trophäen, 86 Turniersiege hat der 34-jährige Spanier gewonnen, aber noch nie hat er bei den ATP-Finals triumhiert. Seit 2005 qualifizierte sich Nadal 16 Mal (!) in Folge für das grosse Saisonfinale, bestritten hat er es aber nur neunmal. Zweimal war er nah am Sieg dran: 2010 unterlag Rafa im Endspiel Roger Federer in drei Sätzen, 2013 Novak Djokovic in zwei.
Dass die ATP-Finals jeweils zum Saisonende auf Hartplatz in der Halle stattfinden, spielte Nadal bislang alles andere als in die Karten. Von der kräftezehrenden Tour meist schon ausgelaugt konnte der «Stier aus Manacor» auf seinem schwächsten Belag kaum noch sein bestes Tennis abrufen. Und das müsste er dringend. Von seinen 86 Turniersiegen hat Nadal nur einen bei einem Hallen-Turnier auf Hartplatz geholt – und das ist schon 15 Jahre her.
Doch in diesem Jahr ist alles etwas anders. Wegen der Corona-Pause ist Nadal im Spätherbst so ausgeruht wie lange nicht mehr. Deshalb soll es nun endlich klappen, auch noch die letzte fehlende Bastion im ATP-Kalender zu erobern. So fit ging der frisch gebackene French-Open-Champion gemäss eigenen Angaben noch nie in die ATP-Finals.
Das nötige Selbstvertrauen ist Nadal trotz der Halbfinal-Niederlage gegen Alexander Zverev beim Masters-1000-Turnier von Paris-Bercy da. «Ich hatte die richtige Einstellung während des gesamten Turniers, habe in jedem Match gekämpft. Das hat mir vier Partien ermöglicht und ich denke, dass das sehr hilfreich war für London», erklärte Nadal fünf Tage vor Turnierbeginn in der O2-Arena.
Doch auch Nadal weiss, dass ihm der Hallen-Belag von London nicht sonderlich liegt. «Das ist wahrscheinlich der Belag, auf dem ich am besten spielen muss, um erfolgreich zu sein», so der Mallorquiner, der dennoch zuversichtlich nach London reist. «Ich bin besser auf diesen Belag vorbereitet als in der Vergangenheit. Meine Beine sind nicht so schwer wie früher und mein Spiel hat sich zuletzt gut entwickelt.»
Dennoch ist Nadal weder Favorit, noch gehört er zu den ersten Herausforderern. Anwärter Nummer 1 auf den Titel ist einmal mehr Novak Djokovic, der das Turnier schon fünfmal gewonnen hat und zusammen mit Roger Federer als bester Hallenspieler der Welt gilt. Doch in Wien hat die serbische Weltnummer 1 zuletzt gezeigt, dass auch er nicht unantastbar ist. Seine klare 2:6,1:6-Niederlage gegen Lorenzo Sonego verblüffte, auch wenn Djokovic später anmerkte, dass er aufgrund des Todes eines Bekannten nicht voll bei der Sache war.
The lineup for the #NittoATPFinals is locked in! 🔒
— ATP Tour (@atptour) November 6, 2020
Who's your pick to take the title? 🏆 pic.twitter.com/hvH3fWVmqK
Auf Djokovic könnte Nadal erst im Halbfinal treffen, davor lauern aber noch weitere Stolpersteiner. Mit Alexander Zverev und Stefanos Tsitsipas sind auch die Gewinner der letzten beiden Jahre wieder mit von der Partie. Ausserdem sind auch der russische Paris-Bercy-Sieger Alexander Medwedew und US-Open-Champion Dominic Thiem in der Halle höher einzustufen als Nadal. Will Nadal in London die letzte Lücke in seinem Palmarès schliessen, muss wirklich alles zusammenpassen. (pre)