Keine Velorennen, nirgends. Der Klassiker-Frühling mit der Flandern-Rundfahrt und Paris–Roubaix ist ebenso ins Wasser gefallen wie der Giro d'Italia und die Tour de Romandie. Für die Tour de Suisse (Anfang Juni) sieht es wohl eher schlecht aus und auch die Tour de France steht auf der Kippe. Schliesslich ist Frankreich eines der am stärksten von der Corona-Pandemie betroffenen Länder. Das grösste und wichtigste Rennen der Welt sollte vom 27. Juni bis zum 19. Juli stattfinden.
Um die Tour zu retten, überlegen sich die Macher «Geister-Etappen» ohne Zuschauer. Ein schwieriges bis unmögliches Unterfangen. Schliesslich finden Velorennen nicht in einem Stadion statt, sondern auf Strassen. 3470 Kilometer stehen für die Radprofis auf dem Programm zwischen Nizza und dem Ziel in Paris drei Wochen später.
Wie wäre es da, sinnierte der italienische Radprofi Matteo Trentin, wenn die drei dreiwöchigen Rundfahrten sich einmalig zu einer zusammenschliessen würden? Eine Woche Italien, eine Woche Frankreich, eine Woche Spanien, so der Vorschlag des 30-Jährigen, der schon Etappen bei Tour, Giro und Vuelta gewonnen hat und 2018 Europameister wurde.
To be more clear. Normal race leght. 21 stages , 7 🇫🇷7🇮🇹7🇪🇸 , 2 rest. And most important : is one shot event. To restart all together. 2021 back on normal businnes.
— Matteo Trentin (@MATTEOTRENTIN) March 24, 2020
Es wird mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht dazu kommen. Einerseits hat die Spanien-Rundfahrt, deren Beginn auf den 14. August angesetzt ist, im Moment noch weniger Termindruck. Könnte sie tatsächlich ausgetragen werden, wäre sie vermutlich so stark besetzt wie nie. Andererseits wird die Vuelta wie die Tour de France von der ASO organisiert, was bei einer «Fusion» sicher nicht hinderlich ist. Der Giro hingegen gehört RCS Sport, das Verhältnis zur ASO gilt als eher angespannt.
Hinzu kommen die logistischen Herausforderungen. Tag für Tag bewegen sich mit dem Tross der Tour de France rund 5000 Menschen. Zwar reduziert sich deren Zahl, wenn an Start und Ziel keine Zeltstadt für die Besucher auf- und abgebaut werden muss. Aber dennoch müssen Fahrer, Betreuer, Funktionäre, TV-Teams und Reporter irgendwo schlafen.
Und dennoch ist Trentins Idee als Spielerei äusserst reizvoll. Eine paneuropäische Tour, die den Menschen nach Monaten der Sorge wieder Freude bereiten kann. So wie der Giro d'Italia 1949 nach dem Zweiten Weltkrieg, wie es der italienische Schriftsteller Dino Buzzati in seinen Reportagen beschrieb.
Machen wir doch diese schöne Spielerei – und packen in die drei Wochen, was geht!
Der Start ist in Italien, es geht durch die Alpen, ans Mittelmeer und in die Pyrenäen nach Spanien, nach einem Transfer in die Vogesen auch noch aufs Kopfsteinpflaster und das Ende der Rundfahrt ist in Paris. Dass die ASO sich im Falle des Falles auf ein anderes Ende einlässt, ist nicht vorstellbar.
Die «Ewige Stadt» als Ausgangspunkt der speziellen Rundfahrt, päpstlicher Segen inklusive. Vom Vatikan geht es zum Kolosseum.
Vor den Toren Roms geht die Fahrt am Meer los, vor dem Ziel können noch einige «Strade Bianche», Naturstrassen in der Toskana, in den Parcours eingebaut werden.
Vorbei an den Cinque Terre, ein Teilstück für die Sprinter.
Ein kürzeres Teilstück mit dem klassischen Finale von Mailand – San Remo, der Cipressa und dem Poggio.
Es geht in die Berge! Nach einem ersten Ausflug über die Grenze nach Frankreich führt die Strecke über den Col de la Lombarde ins Ziel.
Kurz, aber heftig – über den Colle della Maddalena geht es nach Frankreich, dort warten Col de Vars und Col d'Izoard.
Eines, wenn nicht DAS Highlight.
Nach einem Ruhetag geht es meist bergab in Richtung Mittelmeer. Ausreisser werden ihr Glück versuchen, aber am Ende gibt es einen Massensprint.
Noch eine Etappe, die weitgehend flach ist. Bevor es in die Pyrenäen geht, nochmals eine Chance für die endschnellen Sprinter.
Bis nach Girona durchs Landesinnere, nun in Spanien, dann ans Meer nach Lloret de Mar und der Küste entlang nach Barcelona, wo ein Klassiker-Finish ansteht: Das Ziel ist auf dem Olympiaberg Montjuïc.
Mit 3600 Höhenmetern hat es diese Pyrenäen-Etappe in sich. Es geht über den Port de la Bonaigua, den höchsten Pass Kataloniens, weiter über den Col du Portillon nach Bagnères-de-Luchon und über den Col de Peyresourde und den Col d'Azet ins Ziel.
Gleich zu Beginn steht der berühmteste Pyrenäen-Pass auf dem Programm: Der Col du Tourmalet, 2115 Meter hoch. Danach führt der Weg über den Col d'Aubisque und zur Bergankunft auf dem Col de Marie-Blanque. Erneut muss Energie für 3400 Höhenmeter getankt werden.
Die dritte, nicht mehr ganz so schwere Pyrenäen-Etappe hintereinander. Das Haupthindernis des Tages wartet gleich zu Beginn mit dem Col de la Pierre St.Martin. Danach geht es mit drei, vier kleineren Bergen nach Pamplona. Ein Terrain wie geschaffen für eine Fluchtgruppe.
Ungewöhnlich, ein Mannschafts-Zeitfahren so spät in einer Rundfahrt. Aber es ist ja auch eine einmalige Rundfahrt. Es geht praktisch nur bergab – es darf gebolzt werden!
Nach den Strapazen der letzten Tage ist heute der Wind, der vom Atlantik her blasen könnte, der Hauptwidersacher. Die Prognose ist, dass sich rasch eine grössere Fluchtgruppe bilden wird, die man gewähren lässt und aus deren Reihen der Etappensieger kommt.
Am Ruhetag geht es mit dem TGV von Bordeaux nach Strassburg. Die heutige Etappe beginnt flach, führt dann bei Ribeauvillé auf die Route des Crêtes durch die Vogesen, die ein stetes Auf und Ab ist, und in Schussfahrt ins Ziel.
Anfangs geht es nochmals über zwei Anstiege, danach sind die «richtigen» Berge dieser Rundfahrt Geschichte. Die Sprinter, die noch dabei sind, werden sich diesen Tag dick im Kalender anstreichen.
Ein weiteres Teilstück, das mit seinem welligen Profil für Ausreisser prädestiniert scheint. Den Anwärtern auf einen Platz auf dem Podest in Paris geht es einzig darum, unbeschadet ins Ziel zu kommen.
Das Ziel ist auf der legendären Rennbahn – und es geht über viele der noch legendäreren Kopfsteinpflaster-Abschnitte des Frühlingsklassikers Paris–Roubaix. Für die Teams der Favoriten auch logistisch eine Herausforderung: Eine Panne im dümmsten Moment und ohne rasche Hilfe ist der Top-Platz in Paris futsch. Das kann für einige Fahrer auch zur psychischen Belastung werden.
Was sonst auf der letzten Etappe angesagt ist, steht 2020 bereits am vorletzten Tag an: Das Sprintfinale auf den Champs-Élysées. Nach der Anfahrt in die Hauptstadt stehen dort noch vier Zusatzschlaufen an.
Die Tour de France 1989 brachte die knappste Entscheidung der Geschichte hervor: Greg LeMond entriss Laurent Fignon im Schlusszeitfahren den Gesamtsieg, der Amerikaner lag nach 3285 Kilometern exakt acht Sekunden vor dem Franzosen. Auf dem identischen Kurs wird auch die in allen Belangen aussergewöhnliche Grand Tour 2020 entschieden.
Das wäre ein geeintes Europa und könnte ein grosses Sportfest werden. Mal schauen wie lange die Krise noch anhält. Könnte durchaus ein realistisches Szenario werden. Nur würde ich dann nochmals 3 Wochen Homeoffice brauchen.