Die Kosten der Corona-Krise sind gewaltig. Der Bund hat bereits ein Hilfsprogramm in der Höhe von rund 42 Milliarden Franken geschnürt. Das wird kaum reichen. Wahrscheinlich wird der nochmals nachlegen müssen. Aber wer soll das bezahlen?
Im «SonntagsBlick» hat Chefredaktor Gieri Cavelty Entwarnung gegeben. «Am Geld fehlt es nicht», schreibt er in seinem jüngsten Editorial. «[…] Auch hat man das vielleicht stärkste finanzpolitische Instrument bislang völlig ausgeklammert. Die Nationalbank sitzt auf Devisenreserven im Wert von 750 Milliarden Franken. Wenn die der Wirtschaft nicht zu einem langen Atem im Lockdown verhelfen können!»
In der Tat: 750 Milliarden Franken sind ein Haufen Kohle. Doch der Bund kann dieses Geld nicht anrühren. Und das sind die Gründe:
Cavelty geht von einer Vorstellung aus, die weit verbreitet sein mag, aber nichts mit der Realität zu tun hat. Er stellt sich das Verhältnis zwischen dem Bund und der SNB so vor wie zwischen dir und deiner Bank. Du hast verschiedene Konten: ein Kontokurrent, wo du deinen Lohn erhältst und deine Rechnungen bezahlst. Vielleicht noch ein Sparkonto oder, falls du an der Börse aktiv bist, ein Wertschriftenkonto.
In Zeiten der Not kannst du all dein Geld auf allen Konten zusammenkratzen. Bildlich gesprochen kannst du dein Sparschwein zertrümmern und das Geld verwenden, um über die Runden zu kommen.
Bei Bund und SNB ist das Verhältnis völlig anders. Der Bund hat keine Konten im oben beschriebenen Sinne, und die SNB sitzt nicht auf einem Devisenberg, den der Bund anzapfen kann wie du dein Sparkonto. Es geht ganz anders.
Der Bund finanziert sich über Steuern und Staatsanleihen. Diese Anleihen braucht es, weil die Steuern unregelmässig anfallen und weil gelegentlich Projekte finanziert werden müssen, die ein normales Budget sprengen. (Diese Anleihen werden übrigens nicht von der SNB, sondern von der Bundestresorerie emittiert.)
In den letzten Jahren sind die Steuereinnahmen in diesem Land reichlich gesprudelt. Jedes Jahr konnte Finanzminister Ueli Maurer Überschüsse in Milliardenhöhe ausweisen und damit Schulden abbauen. Die Schweizer Staatsfinanzen sind deshalb kerngesund. Im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt betragen sie weniger als 30 Prozent, international ein Spitzenwert.
Übrigens nur so nebenbei: Staatsschulden auf null herunterfahren ist keine gute Idee. Staatsanleihen sind sicher und daher ein prima Sparinstrument, etwa für die Altersvorsorge. Sie sind auch ein wichtiges Mittel auf den internationalen Finanzmärkten, aber das ist eine andere Geschichte.
Weil die Staatsfinanzen kerngesund sind und der Bund ein verlässlicher Schuldner ist, kann er im Niedrigzins-Zeitalter zu besten Bedingungen Geld aufnehmen, ja bei Negativzinsen wird er dafür sogar belohnt. Gerade in den derzeit turbulenten Zeiten an den Finanzmärkten sind die sicheren Schweizer Staatsanleihen sehr begehrt.
Trotzdem: Warum aber zertrümmert er nicht sein Devisenreserve-Sparschwein, wie Cavelty dies fordert? Weil es ihm gar nicht gehört. Die SNB ist nach wie vor eine private Aktiengesellschaft und nicht im Besitz des Bundes, sondern mehrheitlich der Kantone. (Es gibt auch noch ein paar wenige private Eigentümer.)
Selbst wenn der Bund Zugriff auf die Devisenreserven der SNB hätte, wäre es fatal, wenn er dies täte. Und das ist der Grund:
Die primäre Aufgabe der SNB besteht darin, den Franken stabil zu halten. Eine schwankende Währung ist Gift für die Wirtschaft. Wer kauft schon bei einem Schweizer Unternehmen, wenn sich die Preise täglich ändern?
Um den Franken stabil zu halten, muss er sicher verankert sein. In früheren Zeiten hat Gold diese Rolle gespielt. Die Älteren unter euch können sich vielleicht noch daran erinnern, dass man ihnen gesagt hat, man könne bei der SNB jederzeit sein Papiergeld gegen Gold eintauschen. Waren das noch Zeiten!
Der Goldstandard ist jedoch Geschichte. (Zum Glück übrigens, aber auch das ist eine andere Geschichte.) Deshalb spielen die Devisenreserven zusammen mit den nach wie vor reichlich vorhandenen Goldbeständen der SNB diese Rolle.
Mittels dieser Reserven hält die SNB den Franken auf einem stabilen Kurs. Wird er zu stark, kauft sie mit Franken Devisen, erhöht damit die Menge der Franken und macht ihn schwächer.
Umgekehrt würde sie Devisen verkaufen und damit die Frankenmenge verringern, sollte der Franken an Wert verlieren. Doch das ist weitgehend hypothetisch. Wahrscheinlich wissen die bei der SNB gar nicht mehr, wie das geht.
Die Devisenbestände der SNB sind angeschwollen, weil sie verhindern musste, dass der Franken zu stark wird und die Schweizer Wirtschaft deswegen international ihre Wettbewerbsfähigkeit verliert. Auf diesen Beständen hat die SNB auch Gewinne eingefahren, und zwar nicht zu knapp. 2019 betrugen sie beinahe 50 Milliarden Franken.
Können wenigstens diese Gewinne ausgeschüttet werden? Zumindest teilweise. Jedes Jahr überweist die SNB aus ihrer Ausschüttungsreserve zwei Milliarden Franken an die Kantone. Angesichts des Rekordgewinnes vom letzten Jahr wurde auch eine Erhöhung dieses Betrags diskutiert.
Die Gewinne der SNB, vor allem wenn sie in dieser Grössenordnung anfallen, sind zu einem Zankapfel der Politik geworden. Sie sollen die AHV sicher machen, lautet eine Forderung. Oder sie sollen à la Norwegen in einen Staatsfonds fliessen, ein riesiges volkseigenes Sparschwein sozusagen.
Beide Vorschläge werden von der SNB gar nicht gerne gehört und sind unter Ökonomen umstritten. Es ist jedoch denkbar, dass Geld aus den Ausschüttungsreserven der SNB auch für die Finanzierung der Kosten der Corona-Krise verwendet wird.
Der Grossteil der Kosten wird jedoch über Staatsanleihen finanziert werden. Das wird nicht schmerzlos bleiben. SVP und FDP müssen sich wohl daran gewöhnen, dass Steuersenkung in den nächsten Jahren ein Fremdwort sein wird.
Was aber, wenn der Staat pleitegeht? Darf er selbst dann nicht an die Devisenreserven? Die Frage ist falsch gestellt. Staaten können nicht bankrott gehen. Sie sind keine Unternehmen, wo man die Immobilien und Maschinen versteigern und die Arbeitnehmer entlassen kann. Ein Volk kann man nicht liquidieren, es sein denn, man heisse Adolf Hitler oder Josef Stalin.
Wenn Staaten ihre Schulden nicht mehr begleichen können, dann verkaufen sie tatsächlich zuerst ihre Devisen. Sind diese aufgebraucht, dann druckt die Nationalbank Geld, das nicht mehr gesichert ist. Die Folge ist eine Hyperinflation, welche die Wirtschaft und das Vermögen der Bürger zerstört, und zwar rasch.
Sollte der Bund also Caveltys Ratschlag folgen und auf die Devisenreserven der SNB zurückgreifen, dann würde aus dem Schweizer Franken bald einmal ein Simbabwe-Dollar. Viel Glück damit!
Die SNB versorgt die Märkte aber derzeit mit viel Liquidität und hält die Zinsen tief. Damit sie nicht noch weiter in den Negativbereich muss, kauft sie Devisen. Stiegen die Zinsen c.p. durch die zusätzliche Verschuldung, muss sie weniger Devisen kaufen und kann u.U. sogar etwas Devisenreserven abbauen.
Über die Staatsschulden kommt der Bund also indirekt an die Devisenreserven der SNB.