Das Coronavirus beendete diese Woche die Zeit der Sorglosigkeit an den Börsen. Die Kurse bilden das Ausmass der Panik nun sekündlich ab. Es wurde die schwärzeste Woche seit Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008. Auch der gestrige Tag gehörte nochmals ganz finsteren Crash-Propheten. Die Börsenticker waren durchweg tiefrot.
Der Swiss Market Index stand bis zum Freitagabend rund 11.3 Prozent tiefer als noch am Montagmorgen. Beim deutschen Dax waren es 10.5 Prozent. Der Europäische Sammelindex «Euro Stoxx 50» kam auf ein Wochenminus von 11.7 Prozent. Und auch der Dow Jones kommt um einen Verlust von über 10 Prozent nicht herum. Ein Händler kommentierte: «Es herrscht Angst auf den Strassen.»
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Der Verkaufswelle konnte sich kein Unternehmen entziehen. Als das Coronavirus erstmals die Schlagzeilen dominierte, hatten die Investoren noch gezielt Aktien von Unternehmen abgestossen, die in China stark exponiert schienen.
Mit dieser wählerischen Strategie war es vorbei, als die ersten Ansteckungen in Europa vermeldet wurden. Nun tauchten auch Banken ab. Die UBS etwa 14 Prozent, die Credit Suisse gar 16 Prozent. Bei Novartis waren 12.6 Prozent. Die Swatch Group war davor unter die Räder gekommen. Die Woche betrug das Minus noch 7.2 Prozent.
Dennoch: Was die nächsten Wochen bringen, bleibt offen. Crash-Propheten orakeln zwar finster. Nouriel Roubini, Spitzname Doktor Doom, schrieb in der «Financial Times»: «Das Schlimmste kommt erst noch.»
Doch andere sehen den Kurszerfall bereits als Chance, günstig Aktien zu kaufen. Ein einstiger Trader wie Oswald Grübel widersetzt sich daher den Crash-Propheten. Der ehemalige Chef von UBS und der Credit Suisse sagt trocken: «Solange die Zinsen nicht steigen, gibt es Käufer für Aktien.»
In China dagegen, dem Ursprungsland des Virus, probiert die Regierung bereits die Rückkehr zur Normalität. Präsident Xi Jinping hat spät auf den Virus-Ausbruch reagiert, dann mit Macht. Eine Region wurde unter Quarantäne gesetzt. Ein Spital aus dem Boden gestampft. Nun sollen die Arbeiter in die Fabriken zurückkehren.
Xi Jinping demonstriert öffentlich Zuversicht. Er belässt die Wachstumsziele für dieses Jahr, wo sie vor dem Corona-Virus-Ausbruch waren. Zugleich gibt er mit blumigen Worten die Devise aus: Man müsse Chinas Entwicklung freisetzen, diese habe enormes Potenzial und eine mächtige Dynamik.
Xi inszeniert sich gar als Vorbild für die Welt. Die Geschichte des Corona-Virus ist in China bereits geschrieben, buchstäblich. Wie staatliche Medien berichten, wird ein Buch über seine Gegenmassnahmen veröffentlicht und in fünf Sprachen übersetzt. Es ist ein Hohelied auf ihn: «Sein Engagement für sein Volk, sein Sinn für die Mission, seine weitreichende strategische Mission und seine grossartige Führung als Führer einer Grossmacht.»
In Wahrheit hatte Xi spät reagiert auf den Virus-Ausbruch in der 11-Millionen-Stadt Wuhan. Die ersten Berichte tauchten bereits Anfang Dezember auf. Doch die ersten Warner wurden zum Schweigen gebracht, Informationen zurückgehalten und die Bedrohung heruntergespielt. Die lokalen Beamten hatten wohl Angst, schlechte Nachrichten an die oberen Hierarchiestufen in der Bürokratie weiterzuleiten.
Der Bürgermeister von Wuhan antwortete auf Kritik, er habe zu spät Alarm geläutet, so: Er habe erst die Erlaubnis aus Peking haben müssen.
Erst spät, dann mit Macht: Darin sehen Kritiker ein Beispiel eines alten Musters in der Chinas Geschichte. Dafür hat der amerikanische Geograf und Bestsellerautor Jared Diamond ein Bild geprägt: torkelnder Gigant. Chinas Herrscher hätten zwei Jahrtausende lang meist unangefochten über ein Riesenreich bestimmt.
Dies im Gegensatz zum allzeit zankenden Europa. Ihre Kontrolle hätten die Herrscher für Entscheide zum Guten wie zum Schlechten genutzt, oft in sehr rascher Abfolge. Dieses «Torkeln» erkläre beispielsweise teilweise, so Diamond, warum China zurzeit der europäischen Renaissance die weltweit besten und grössten Schiffe gehabt habe, Flotten nach China und Indien schickte – und ihre Flotten dann einfach so wieder aufgab.
Dieses Torkeln wird nach Ansicht der Kritiker in den nächsten Jahren häufiger werden. Zum Beispiel beschrieb ein chinesischer Professor, Xu Zhangrun, das Ausmass der Corona-Krise öffentlich als Folge von Xis «Ein-Mann-Herrschaft». Sein System mache aus jedem Natur-Desaster eine noch grössere menschengemachte Katastrophe. In Xis Bürokratie würden Fakten unterdrückt, Beamte würden bloss ihren Vorgesetzten gefallen wollen. Nach Erscheinen seiner Kritik wurde Xu prompt unter Hausarrest gestellt.
Der Kult um Xi ist für manchen Beobachter gar der entscheidende Grund, um an Chinas weiterem Aufstieg zu zweifeln. So ergeht es beispielsweise Gideon Rachman, Analyst bei der «Financial Times». So wurden «Xi Jinpings Ideen» in die chinesische Verfassung übernommen, eine Sammlung von seinen Theorien. Beamte, Studenten und Parteimitglieder werden gezwungen, diese Gedanken des Führers regelmässig zu studieren. Und über mancher Strasse hängt in Städten ein grosses Plakat, das die Weisheiten von Xi zitiert.
Es war nicht immer so. Nach dem Desaster der Mao-Zeit hatten Chinas Führer versucht, vom Kult um eine Person wegzukommen. Die Amtszeit von Präsidenten wurde beschränkt. Xi schaffte die Beschränkung wieder ab. Rachmans Fazit: «Mit einem Personenkult steigt die Wahrscheinlichkeit von schlechten Entscheidungen.»