Der Wirtschaftshistoriker Benjamin Friedman hat in seinem Alterswerk «The Moral Consequences of Economic Growth» dargelegt, dass es einen engen Zusammenhang zwischen wirtschaftlichem Erfolg und menschlicher Toleranz gibt. Kurz zusammengefasst lautet seine These: Je dreckiger es der Wirtschaft geht, desto dreckiger wird die Politik in einer Gesellschaft.
Friedmans These kennt wenig Ausnahmen. Eine betrifft die Dreissigerjahre. Damals ging es den Amerikanern zwar wirtschaftlich miserabel. Anders als in Europa hatten Möchtegern-Diktatoren jedoch keine Chance.
Jetzt zeichnet sich eine Ausnahme der anderen Art ab: In der Ära von Donald Trump boomt die Wirtschaft. Das Bruttoinlandprodukt wächst seit neun Jahren, die Arbeitslosigkeit befindet sich auf einem historischen Tiefst-, die Aktienindizes auf Höchstständen. Trotzdem geht das politische und gesellschaftliche Klima vor die Hunde.
Sicher wäre es übertrieben, den Niedergang der US-Kultur allein Trump in die Schuhe schieben zu wollen. Unbestreitbar aber hat er einen entscheidenden Anteil an dieser Entwicklung. Als amerikanischer Präsident ist er der mächtigste Mann der Welt. Wenn daher Gary Cohn, sein wirtschaftlicher Berater, erklärt, er sei «ein Idiot, umgeben von Clowns», dann haben nicht nur die Amerikaner Grund zur Sorge.
Cohns Zitat stammt aus dem Buch «Fire and Jury» von Michael Wolff. Der Skandaljournalist geniesst nicht den besten Ruf. Allgemein wird jedoch bestätigt, dass seine Schilderung der chaotischen Vorgänge im Weissen Haus – abgesehen von Details – der Wirklichkeit entsprechen. Die Wirklichkeit im Weissen Haus sieht allein in dieser Woche wie folgt aus: Trump bezeichnet Länder aus Afrika als «Drecklöcher».
Darauf entwickelt sich ein absurder Streit darüber, ob er den Begriff «shithole» oder shithouse» benutzt habe. Zwei republikanische Abgeordnete lügen vor laufenden TV-Kameras. Gleichzeitig wird bekannt, dass Trump einer Pornodarstellerin 130’000 Dollar Schweigegeld bezahlt hat, was seine Anwälte ebenfalls umgehend dementieren.
Es handelt sich hier keineswegs um eine Ausnahmewoche, sondern um politisches Alltagsgeschäft, wie es im ersten Amtsjahr von Trump üblich geworden ist. Nachweislich hat der Präsident bereits mehr als 2000 Mal gelogen; und er tut dies keineswegs raffiniert: Jedermann konnte sehen, dass die Menschenmenge bei seiner Amtseinführung kleiner war als seinerzeit bei Barack Obama. Jeder Zwölfjährige kann dank Google widerlegen, dass er nicht am meisten Elektorenstimmen aller gewählten Präsidenten sei Reagan erhalten hat, wie er behauptet.
Trump schämt sich nicht, wenn er beim Lügen ertappt wird, es ist ihm egal. Diese Schamlosigkeit deckt sich mit seiner Schamlosigkeit gegenüber Frauen. Er brüstet sich bekanntlich damit, dass er ihnen als Star zwischen die Beine greifen darf. Derweil lässt er seine Anwälte auf inzwischen gegen 20 Frauen los, die ihn der sexuellen Belästigung bezichtigen.
Trump ist ein Rassist, er macht sich über Behinderte lustig und er lässt ehemalige Kampfgefährten ohne mit der Wimper zu zucken fallen. Jüngstes Opfer ist sein ehemaliger Chefstratege Steve Bannon, den er inzwischen als «schlampigen Steve» bezeichnet. Jeff Sessions, seinen Justizminister und Mitstreiter der ersten Stunde, hat er mehrmals in der Öffentlichkeit lächerlich gemacht.
Schadenfreude ist fehl am Platz. Trumps Unkultur ist nicht nur toxisch, sie ist auch ansteckend. Selbst anständige Konservative beginnen sich unanständig zu verhalten, wenn sie sich seinem Dunstkreis bewegen. Sicherheitsberater H.M. McMaster und Stabschef John Kelly beispielsweise waren einst hoch angesehene Generäle. Inzwischen haben beide ihren Ruf und ihre Ehre eingebüsst, weil sie für Trump gelogen haben.
Die menschenverachtende Schamlosigkeit Trumps zeigt sich auch in seinem politischen Handeln. Derzeit pokert er mit dem Schicksal von rund 800’000 jungen Menschen, den so genannten Dreamers. Sie wurden als Kinder von ihren Eltern illegal in die USA gebracht und sollen nun wieder ausgeschafft werden, obwohl die meisten von ihnen einen guten Job haben oder gar in der US-Armee dienen.
Mit den Dreamers will Trump das Geld für seine Mauer gegen Mexiko erpressen, eine Mauer, von der selbst sein Stabschef Kelly sagt, sie sei vollkommen überflüssig.
Trump scheut auch nicht davor zurück, die Pfeiler der Demokratie und des Rechtsstaates anzugreifen. Er legt seine Steuern nicht offen, er will die Pressefreiheit einschränken, er anerkennt die Unabhängigkeit der Justiz nicht und er beschmutzt selbst das Image des FBI. Anlass ist der Sonderermittler Robert Mueller, ein ehemaliger FBI-Chef, der nun eine mögliche Zusammenarbeit des Trump-Wahlkampfteams mit den russischen Geheimdienst untersucht. Der Präsident wiederholt gebetsmühlenartig, das sei eine «Hexenjagd» gegen ihn und versucht zusammen mit seinem ihm treu ergebenen TV-Sender Fox News, Mueller zu diskreditieren.
Die Vulgarität des Präsidenten und seine oft unbeholfenen Tweets mögen den Comedians der Late Shows jede Menge Stoff liefern. Das Lachen bleibt einem mittlerweile im Hals stecken. Besorgt fragt man sich, wie lange die berühmt-berüchtigten «checks and balances» des amerikanischen Systems dem Angriff auf die Grundwerte der US-Demokratie noch standhalten können.
Trump könnte schaffen, was in den Dreissigerjahre keinem gelungen ist: die amerikanische Demokratie ernsthaft in Gefahr zu bringen. In ihrem soeben erschienenen Buch «How Democracies Die» schreiben die beiden US-Politologen Steven Levitsky und Daniel Ziblatt: «Unser Verfassungssystem mag älter und robuster als alle anderen auf der Welt sein. Trotzdem ist es genauso anfällig für die Krankheiten, die andere Demokratien zu Fall gebracht haben.»