Tech-Milliardäre sind in China Volkshelden. Während Jeff Bezos und Mark Zuckerberg im Westen fast permanent in der öffentlichen Kritik stehen, werden Jack Ma und Colin Huang im Osten bewundert und geliebt. Die Chinesen sehen in ihnen den lebenden Beweis, dass die Schmach der Unterdrückung der letzten 150 Jahre endgültig überwunden und das Reich der Mitte wieder seinen angestammten Platz in der Geschichte der Menschheit gefunden hat.
Populär zu sein ist in China jedoch eine heikle Sache. Wer wie Ikarus zu nahe an der Sonne fliegt, begibt sich in akute Absturzgefahr. Jack Ma, der bekannteste chinesische Tech-Milliardär, kann davon ein Lied singen. An ihm hat die Kommunistische Partei Chinas soeben ein Exempel statuiert.
Jack Ma ist der Gründer von Alibaba, der chinesischen Antwort auf Amazon. Doch Ma vertreibt auf seiner Plattform nicht nur Güter aller Art, er mischt auch im Finanzgeschäft kräftig mit. Zu diesem Zweck gründete er die Ant Group, eine eierlegende Wollmichsau der Finanzindustrie.
Der Plan sah dabei wie folgt aus: Ant-Kunden sollten mit ihrer App in der Lage sein, mehr als nur Zahlungen abzuwickeln. Mit ihrem Smartphone sollte es ihnen auch möglich sein, Kredite aufzunehmen, in Fonds zu investieren, eine Krankenkasse abzuschliessen oder ihr Auto zu versichern. Und das alles in Echtzeit, indem sie kurz ein paarmal auf ihren Bildschirm tippen.
Bei den Konsumenten stiess dieser Plan auf grosse Begeisterung. Ant war in den letzten Jahren ausserordentlich erfolgreich und sollte daher im vergangenen November als eigenständige Publikumsgesellschaft an die Börse gebracht werden – und zwar im grossen Stil. Der Börsengang sollte mehr als 34 Milliarden Dollar in die Kasse von Ant spülen.
Dann griff Peking ein. Der Börsengang wurde auf Geheiss der Regierung abrupt abgesagt. Jack Ma tauchte monatelang ab. Bis heute hat er sich einzig in einem Video kurz einmal an die Öffentlichkeit gewandt. Das ist für ihn völlig untypisch, denn normalerweise liebt er es, im Rampenlicht zu stehen.
Ma ist nicht der einzige Tech-Tycoon, der in Schwierigkeiten geraten ist. Colin Huang trat als Vorsitzender von Pinduoduo zurück, einem aufstrebenden Online-Imperium. Gleichzeitig mussten führende Tech-Unternehmen wie Tencent, Baidu, das chinesische Gegenstück zu Google, und der Smartphone-Hersteller Xiaomi an der Börse empfindliche Verluste verkraften.
Offensichtlich ist etwas faul im Tech-Staat China: «Nach Jahren, in denen die Zentralregierung es zugelassen hatte, dass sich die Big-Tech-Unternehmen uneingeschränkt ausbreiten konnten, ist sie nun im Begriff, die Spielregeln neu festzulegen», stellt der «Economist» fest. «Die Kontrolle des Staates darüber, wer über welche Daten verfügen und wer welche Assets besitzen kann, wird neu definiert. Der neue Masterplan wird eine der innovativsten und wertvollsten Industrien der Welt transformieren.»
Was hat den Unmut der Kommunisten erregt? Einerseits duldet die Partei keine Götter neben sich. Es geht also darum, öffentlich zu demonstrieren, wer das Sagen hat. Jack Ma hat sich im vergangenen Herbst mit ein paar flapsigen Bemerkungen in Peking unbeliebt gemacht, etwa in dem er die chinesischen Banken verächtlich mit «Pfandhäusern» verglichen hatte.
Doch der wahrscheinlich triftigere Grund dürfte darin liegen, dass seine Ant Group im Begriff war, zu einer Datenkrake und damit zu einer ernsthaften Konkurrenz der Bank of China zu werden. Ant besitzt die Daten von mehr als einer Milliarde Menschen und hat im letzten Jahr rund 17 Billionen Transaktionen durchgeführt.
Vor allem das sehr erfolgreiche Kreditgeschäft drohte zu einem monopolartigen Gebilde zu werden und so die Geldpolitik der Zentralbank zu unterlaufen. «Es scheint, dass die Zentralbank sich entschlossen hat, mehr Kontrolle über die Techfirmen auszuüben», so der «Economist».
Inzwischen ist die Ant Group zurückgekrebst. Sie will nun eine reine Finanz-Holding werden und auf das Kreditgeschäft verzichten. «Diese Pläne werden Ant dazu zwingen, das Geschäft vollständig zu restrukturieren», erklärt dazu Zhao Xijun, Professor an der Renmin University of China gegenüber der «Financial Times».
Trotzdem gibt man sich bei der Ant Group demütig. In einem gemeinsamen Communiqué mit der Bank of China wurde erklärt, man werde sich strikt an die neuen Auflagen halten. Gleichzeitig wurde auch bekannt, dass Alibaba von der chinesischen Wettbewerbsbehörde eine Busse in der Höhe von 2,8 Milliarden Dollar aufgebrummt wurde. Ist das ein Zeichen, dass Peking die Tech-Milliardäre ernsthaft niederknüppeln will?
Nein, wer an eine neue Kulturrevolution im Sinne von Mao glaubt, befindet sich auf dem falschen Dampfer. China will nach wie vor die führende Tech-Nation der Welt werden. Deshalb hat die Regierung auch nicht im Sinn, ihre besten Pferde im Stall ernsthaft zu beschädigen.
Mit der Machtdemonstration sind die Spielregeln geklärt und es herrscht wieder Ruhe im Karton. Deshalb sind die Alibaba-Aktien nach der Milliarden-Busse nicht etwa eingebrochen, sie haben im Gegenteil fast sieben Prozent zugelegt. «Uns sind keine weiteren Verfahren bekannt», erklärte Joe Tsai, Vize-Präsident bei Alibaba. «Wir sind froh, dass wir die Sache hinter uns haben.»