Einzelne Regionalstationen des öffentlichen amerikanischen TVs haben sich bereits aus den täglichen Briefings des amerikanischen Präsidenten verabschiedet. Jetzt wollen auch führende Kabelstationen wie MSNBC und CNN zumindest die Aussagen Trumps ausblenden und nur noch Fachleute wie Anthony Fauci, den anerkannten Spezialisten, zu Wort kommen lassen.
Grund für die drastische und einmalige Aktion ist die Tatsache, dass Trump die täglichen Pressekonferenzen in eine Art Mini-Wahlkampf-Veranstaltungen verwandelt hat. Anstatt seine Bürgerinnen und Bürger besonnen über den Stand von Covid-19 zu orientieren und die entsprechenden Massnahmen zu erläutern, verbreitet er eine Mischung aus Prahlerei und Fake News.
Trump gibt sich selbst bei seinem Kampf gegen das Virus zehn von zehn Punkten. Er rühmt den «unglaublichen und fantastischen Job», den er und sein Team leisten. Er verbreitet gefährliche Halbwahrheiten über ein Malaria-Medikament. Er erklärt im Brustton der Überzeugung, keinen einzigen Fehler begangen zu haben, und kanzelt Journalisten ab, die kritische Fragen stellen.
Vor allem aber benützt er nun die Pressekonferenzen für sein bisher gefährlichstes Unterfangen: Er will bereits nach Ostern, also am 12. April, den Ausnahmezustand wieder aufheben und die Amerikanerinnen und Amerikaner wieder zur normalen Arbeit schicken. Er wolle nicht, dass «das Kurieren der Krankheit schlimmer sei als die Krankheit selbst», so Trump.
Ostern sei doch der ideale Zeitpunkt, so der Präsident. Er wünsche sich, dass dann die «Kirchen gerammelt voll seien», und die Menschen danach wieder ihrer normalen Tätigkeiten nachgehen werden.
Epidemiologen wähnen sich im falschen Film. Der Präsident spricht von vollen Kirchen und Rückkehr zur Normalität zu einem Zeitpunkt, da die Epidemie so richtig Fahrt aufnimmt. Mehr als 68’000 Menschen sind in den USA mittlerweile mit dem Coronavirus infiziert, über 1000 Todesopfer hat Covid-19 bereits gefordert.
Besonders schlimm ist die Lage in New York City. Dort werden rund die Hälfte der Infizierten gezählt. In den Spitälern werden die letzten Betten auf den Intensivstationen verteilt. Tote müssen in Kühllastwagen gelagert werden. Ärzte sprechen von «apokalyptischen Zuständen».
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In der «New York Times» haben Spezialisten Modellrechnungen erstellt, die den Verlauf der Epidemie mit oder ohne strikte soziale Distanzierung aufzeigen. Das Resultat: Wird die Massnahme nach zwei Wochen aufgehoben, werden bis zu 128 Millionen Menschen angesteckt. Bleiben die Massnahmen zwei Monate in Kraft, dann sind es noch 14 Millionen Menschen.
Dr. Tom Inglesby von der Johns Hopkins University, einer weltweit führenden Instanz auf dem Gebiet der Pandemie, erklärt dazu:
Selbst der Experte des Weissen Hauses, Dr. Fauci, weist darauf hin, dass sich «das Virus leider nicht an einen Zeitplan halte» und man deswegen flexibel reagieren müsse.
Trump schert sich einen Deut darum. Er will an seinem Plan festhalten, denn er weiss, dass zumindest die Mehrheit seiner Partei und führende Wirtschaftsvertreter hinter ihm stehen.
Das Verhalten von vielen massgebenden Vertretern der Grand Old Party ist jenseits von gut und bös. In Florida beispielsweise weigert sich Gouverneur Ron DeSantis, ein Hardcore-Trump-Fan, bis heute, Restaurants zu schliessen und Ansammlungen von Menschengruppen zu verbieten. Florida ist ein Rentnerparadies und hat gute Chancen, New York bald als Epizentrum der Epidemie abzulösen.
Andere republikanische Gouverneure tun es ihm gleich. So hat etwa im Bundesstaat Mississippi Gouverneur Tate Reeves die Schutzmassnahmen einzelner Städte wieder aufgehoben.
Dan Patrick, der Vize-Gouverneur von Texas, geht noch einen Schritt weiter. Er fordert, die Alten sollten sich opfern, damit die Jungen die sogenannte Herdenimmunität erwerben und so die Wirtschaft wieder in Schwung bringen können.
Die gleiche Forderung stellt auch Glenn Beck, ein ehemaliger Starmoderator von Fox News. «Lieber sterbe ich, als dass die Wirtschaft stirbt», erklärte er vollmundig.
Die Wirtschaft möglichst rasch wieder in Schwung zu bringen, das fordern auch bei uns die Wirtschaftsverbände und führende Vertreter der Wirtschaft. Dafür gibt es handfeste Gründe. So hat avenir suisse, die Denkfabrik der Wirtschaft, ausgerechnet, dass sich der monatliche Wertschöpfungsverlust in der Schweiz auf 28,8 Milliarden Franken beläuft.
So gesehen ist es verständlich, dass auch wir uns Gedanken darüber machen müssen, wie wir den Hochseilakt zwischen der Eindämmung der Epidemie und einem Abwürgen der Wirtschaft am besten bewältigen können. Es ist jedoch davon abzuraten, zu Ostern die Kirchen mit Menschen vollzupacken.