Früher haben Banken von der Schweizerischen Nationalbank einen Zins erhalten, wenn sie bei ihr Geld parkierten. Seit Mitte Januar 2015 ist dieser Zins negativ: minus 0.75 Prozent. Daher spricht man von einem Negativzins. Nun zahlen die Banken also der Nationalbank etwas, wenn sie bei ihr Geld parkieren. Negativzinsen sind bei Schweizer Staatsanleihen zur neuen Normalität geworden. Der Staat zahlt den Investoren einen Negativzins. Oder anders gesagt: Die Investoren müssen dafür etwas zahlen, wenn sie dem Bund ihr Geld leihen wollen.
Die Nationalbank wird ihren Negativzins erhöhen oder gleich belassen. Zwar hat sie den weltweit höchsten Negativzins. Doch in der Vorwoche hat Mario Draghi durchgesetzt, dass die Europäische Zentralbank ihren Negativzins erhöht. Neu verlangt sie 0.5 Prozent von den Banken. Das könnte am Anfang einer Kausalkette stehen, die Nationalbank-Präsident Thomas Jordan gar nicht passt.
Die Differenz zwischen den Zinsen in der Schweiz und in der Eurozone verringert sich damit. Geld in Franken anzulegen, wird ein Stückchen lohnender. Der Franken wertet auf, dabei kostet er in Euro schon deutlich mehr als im Frühling. Das drückt tendenziell die Preise nach unten, die Inflation nimmt ab. Diese ist bereits recht tief, obschon die Wirtschaft bis vor kurzem Hochkonjunktur hatte, was sonst mit mehr Inflation einhergeht. Die Preise könnten gar fallen, die Schweiz in eine Deflation abrutschen. Auf die Preise hat die Nationalbank zu achten, das geben ihr Verfassung und Nationalbankgesetz vor. Sie muss Preisstabilität gewährleisten.
Doch ist die Zinsdifferenz nun tatsächlich zu gering? Oder wird sie als ausreichend eingeschätzt von der Nationalbank?
Den Banken, sagen die Banken. Sie leiden unter den extrem niedrigen Zinsen. Ihre Margen sind um ein Drittel kleiner als vor der Finanzkrise. Den Negativzins sehen sie als Belastung. Ihre Bankiervereinigung klagt über Kosten von jährlich über 2 Milliarden Franken. So viel Geld werde bei ihnen via Negativzins abgezogen auf ihre Guthaben bei der Nationalbank. Auch die Pensionskassen sagen, der Negativzins sei schlecht. Ihr Verband nennt ihn ein «grundsätzliches Ärgernis». Künftige Pensionäre haben ohnehin tiefere Renten. Der Negativzins belaste zusätzlich. Pensionskassen zahlen Negativzinsen, weil sie von den Banken teils weitergereicht werden.
Der Maschinen- und Metallindustrie, dem Detailhandel sowie dem Tourismus in den Bergregionen. Also allen Industrien, denen es schadet, wenn der Franken in Euro mehr kostet. Die Maschinenindustrie stellt ihre Leistungen in der Schweiz her, zu Schweizer Löhnen. Sie will aber in der Eurozone verkaufen, in Euro. Ihre Kunden müssen in Euro mehr zahlen, wenn der Franken aufwertet. Der Bergtourismus will Gäste aus der Eurozone gewinnen. In Euro werden Übernachtungen teurer. Der Detailhandel verkauft zwar an Kunden in der Schweiz, aber die können mit einem starken Franken in Deutschland shoppen. Alle drei Branchen haben gelitten. In der Maschinenindustrie verdient seit Jahren über ein Drittel der Firmen zu wenig Geld, um richtig investieren zu können. Der Bergtourismus kommt noch immer auf weniger Übernachtungen also vor zehn Jahren. Die Deutschen sind bis heute nicht zurückgekehrt. Der Detailhandel stagniert, der Einkaufstourismus floriert.
Nein, sagt die Bankiervereinigung. Es entstünden Blasen an den Finanzmärkten. Unrentable Unternehmen würden künstlich am Leben erhalten, was das Land weniger wettbewerbsfähig mache. Die Altersvorsorge werde gefährdet. Die Nationalbank sieht es freilich anders. Die Aufhebung des Negativzinses wäre nicht im «Gesamtinteresse unseres Landes», sagt sie. Der Franken würde sich aufwerten, die Wirtschaft langsamer wachsen, die Arbeitslosigkeit ansteigen. Die Inflation würde negativ, die Preise würden sinken. Auch Banken und Pensionskassen hätten kaum etwas davon. Zwar wären sie den Negativzins los. Doch das generelle Zinsniveau käme herunter, weil die Wirtschaftsaussichten schlechter wären. Banken und Pensionskassen verdienten weniger. Unter dem Strich sei der Negativzins gut für die Schweiz, so die Nationalbank. Danach hat sie sich zu richten, sagt das Gesetz: Ob ihre Geldpolitik «im Gesamtinteresse des Landes» ist.
Draghi hat Vorgaben zu erfüllen: Die Inflation soll nahe bei 2 Prozent liegen. Davon ist er weit entfernt, nächstes Jahr wird die Teuerung wohl nur halb so hoch sein. Darum hat er die Geldschleusen wieder geöffnet. Ist mehr Geld im Umlauf, werden mehr Güter und Services nachgefragt, die Wirtschaft wächst kräftiger, die Teuerung nimmt zu – hofft Draghi zumindest.
Das hat mit den Ungleichgewichten der Eurozone zu tun. Im Boom nach Einführung des Euro stiegen die Löhne in Italien oder Spanien zu stark an, in Deutschland stagnierten sie. Ab der Finanzkrise waren Italien oder Spanien nicht mehr wettbewerbsfähig. Die Lohnkosten waren zu hoch im Vergleich zu Deutschland. Das ist heute weniger schlimm, aber noch immer so. Löhne zu senken, ist aber in modernen Staaten unmöglich. Selbst bei hoher Arbeitslosigkeit fallen die Löhne nicht. Machbar ist, dass die Löhne in Italien oder Spanien langsamer ansteigen als in Deutschland. Das gelingt eher, wenn die Eurozone insgesamt kräftig wächst und die Inflation hoch bleibt. Sonst droht in Italien oder Spanien die Arbeitslosigkeit anzusteigen. Das untergräbt die Legitimität des Euro. Ohne ihn würden sich nur die nationalen Währungen von Italien oder Spanien abwerten. Ihre Wettbewerbsfähigkeit wäre wieder hergestellt. (aargauerzeitung.ch)