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Coronavirus: Wird der Grippeimpfstoff knapp?

Impfung Coronavirus grippe
Genügend Impfdosen für die Schweiz? Es wird eng …Bild: shutterstock.com

Ausverkauft: Wird der Grippeimpfstoff knapp? Bund passt seine Ziele an

In diesem Herbst möchten sich mehr Menschen als gewohnt impfen lassen. Doch die zusätzlichen Impfdosen sind nicht da. In Impfapotheken wurden deshalb schon Personen abgewiesen.
24.09.2020, 06:1124.09.2020, 06:30
Niklaus Salzmann / CH Media
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Ausverkauft: Der Lieferstatus für den Grippeimpfstoff Fluarix Tetra ist rot. 650'000 Dosen hat das britische Pharmaunternehmen GlaxoSmithKline für die Schweiz eingeplant. Diese wurden bei einer Vorbestellaktion im Frühjahr verkauft und werden nun ab Oktober ausgeliefert. Zusätzliche Dosen kann der Pharmakonzern nicht zur Verfügung stellen.

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Nebst Fluarix Tetra ist derzeit in der Schweiz für die Grippesaison 2020/2021 ein zweiter Impfstoff zugelassen, Vaxigrip Tetra vom französischen Konzern Sanofi. Insgesamt sind gemäss Bundesamt für Gesundheit (BAG) damit 1,2 Millionen Dosen gesichert, gleich viel wie in früheren Jahren. Das dürfte aber diesmal nicht ausreichen.

Das BAG möchte im Vergleich zu normalen Jahren einen doppelt so hohen Anteil der Bevölkerung impfen, hiess es im Juni. Damit soll das Gesundheitssystem entlastet werden, um mehr Kapazität für Covid-19 zu haben.

Inzwischen hat der Bund sein Ziel aber nach unten korrigiert, nun sollen noch die Hälfte mehr als üblich geimpft werden. Dazu wären 1,8 Millionen Impfdosen nötig, es fehlen also noch 600'000. Selbst von den bislang gesicherten 1,2 Millionen Dosen wird ein Teil erst im Dezember bereitstehen.

Die Impfstoffproduktion dauert mehrere Monate

Das Problem ist, dass die Herstellung von Impfstoffen viel Zeit braucht. Die Produktion des Grippeimpfstoffes inklusive Abfüllen und Qualitätskontrolle dauere bis zur Freigabe mehrere Monate, heisst es bei Glaxo­SmithKline:

«Die Produktionsvolumina werden deshalb über ein Jahr im Voraus geplant. Alle produzierten Dosen sind bereits auf die verschiedenen Ländern in Europa zugeteilt worden, sodass keine restlichen Dosen zur Verfügung stehen, welche für eine Nachlieferung an die Schweiz eingesetzt werden könnten.»

Das BAG sei in Verhandlungen, um den zusätzlichen Impfstoff zu besorgen, schrieb die NZZ im Juni. Drei Monate später sind keine Fortschritte zu vermelden. Das BAG antwortet auf Anfrage von CH Media:

«Mit weiteren Herstellern laufen Verhandlungen des Bundes, um weitere Dosen beziehungsweise Produkte für die Schweiz verfügbar zu machen.»

Viel Zeit bleibt nicht. Die Impfung wird laut BAG idealerweise zwischen Mitte Oktober und dem Beginn der Grippewelle durchgeführt, wobei die Grippewelle meist im Januar beginne.

Vor drei Jahren erreichten die Grippeinfektionen aber bereits in der Woche vor Weihnachten das Ausmass einer Epidemie. Die Impfung sollte demnach spätestens Anfang Dezember durchgeführt werden, da ihre Wirkung erst nach zwei Wochen eintritt.

Symptome kaum von Covid-19 unterscheidbar

Im Vergleich zu anderen Impfungen ist die Wirksamkeit der Grippeimpfung tief. Die Erreger sind von Jahr zu Jahr unterschiedlich, der Impfstoff muss jeweils Monate vor Beginn der Grippewelle auf die zu erwartenden Erreger angepasst werden. Das BAG gibt die Wirksamkeit mit 20 bis 80 Prozent an.

Bei älteren Menschen ist sie noch tiefer. Gerade diese zählen aber zur Risikogruppe. Empfohlen wird die Impfung für Menschen ab 65, Personen mit gewissen chronischen Erkrankungen, Schwangere sowie Frühgeborene ab dem Alter von sechs Monaten für die ersten zwei Winter.

Zudem möchte der Bund all jene impfen lassen, die mit Personen aus der Risikogruppe regelmässigen Kontakt haben – darunter auch Kinder ab sechs Monaten, die regelmässig von den Grosseltern gehütet werden.

Praxen, Notfallstationen und Labors vor Überlastung?

Die Empfehlungen des Bundes sind dieselben wie in früheren Jahren, jedoch werden sie dieses Jahr offensiver kommuniziert. Denn die typischen Grippesymptome sind beinahe identisch mit denen von Covid-19: Fieber, Gliederschmerzen, trockener Husten. Sollten nun gleichzeitig eine Grippe- und eine neue Coronawelle über die Schweiz rollen, könnte das zu einem Ansturm auf medizinische Praxen, Notfallstationen und Labors führen, der kaum mehr zu bewältigen wäre.

Allerdings besteht Hoffnung, dass die Grippe diesmal nicht mit gewohnter Härte zuschlägt. Denn die Verbreitung der Grippeviren wird mit denselben Massnahmen eingedämmt wie die neuen Coronaviren. Wenn sich Menschen öfter und gründlicher die Hände waschen, Masken tragen, Abstand zueinander halten und bei Husten zu Hause bleiben, machen sie es auch der Grippe schwer.

Die Weltgesundheitsorganisation schrieb vergangene Woche:

«Weltweit wird eine tiefere Grippeaktivität gemeldet, als für diese Jahreszeit zu erwarten wäre»

In Australien, Neuseeland, Südafrika und weiten Teilen Südamerikas, wo der Winter nun zu Ende geht, hat es laut dem «Tages-Anzeiger» keine Grippewelle gegeben.

Wie viele Menschen der Risikogruppe sich in Europa impfen lassen

Gegenüber der Grippeimpfung sind Schweizerinnen und Schweizer im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern skeptisch. Im März 2019 waren 31 Prozent der Menschen über 64 geimpft. Demgegenüber erreichte das Vereinigte Königreich in dieser Altersgruppe eine Quote von 72 Prozent. Auch Italien mit 53 Prozent und Frankreich mit 51 Prozent lagen deutlich vor der Schweiz. In Deutschland ist die Impfrate dagegen ähnlich tief wie bei uns.

Für die kommende Grippesaison ist aber mit mehr Interesse zu rechnen. Bereits jetzt ist von Hausarztpraxen und Impfapotheken zu hören, die Impfwillige abweisen mussten, weil sie noch keinen Impfstoff zur Verfügung haben.

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Grippe und Covid-19 im Vergleich
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quelle: epa / alex plavevski
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20 Kommentare
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Berner_in
24.09.2020 06:19registriert September 2018
Keine Grippewelle auf der Südhalbkugel? Abstand halten und Hygienemassnahmen wirken halt auch gegen Grippe.
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Mutzli
24.09.2020 08:45registriert Dezember 2016
Wäre wirklich nett (auch abgesehen von der Situation mit Covid-19), wenn wir endlich mal wieder höhere Impfungsraten erreichen würden. War zwar bei weitem nicht das gleiche Kaliber von Krise, aber ich arbeitete während der grossen Influenzawelle 2015/2016 im Spital und was die an Opfern forderte vs. was dagegen unternommen wurde, war wirklich sehr unschön.

Könnte meiner Meinung nach aber auch mehr von Seiten der Regierung passieren: Verstehe z.B. immer noch nicht, wieso Impfungen nicht sowieso trotz der glänzenden Kosten/Nutzen Bilanz von den Krankenkassen übernommen werden, aber jänu.
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Maya Eldorado
24.09.2020 09:15registriert Januar 2014
Das einzige Mal, als ich mich gegen Grippe impfte, hatte ich gleidh anschliessend eine extrem starke Grippe. Seither habe ich mich nie mehr dagegen impfen lassen und hatte das ganze Leben praktisch nie eine Grippe.
Ich reagiere auch sonst bei jeder Grippe extrem. Da hatte ich doch vor anderthalb Jahren eine Tetanusimpfung und bekam eine Entzündung mit Fieber. Was mich hässig macht: Immer heisst es das kann unmöglich etwas mit der Grippe zu tun haben.
Ich finde, dass die Aerzte die Nebenwirkungen ernster nehmen müssen.
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