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Bitcoin nähert sich Rekordhoch: Darum ist 2020 alles anders

Alles deutet darauf hin, dass Bitcoin den Höchststand von 2017 bald schon überflügelt.
Alles deutet darauf hin, dass Bitcoin den Höchststand von 2017 bald schon überflügelt.bild: watson/datawrapper

Bitcoin ist wieder auf Rekordkurs. Doch es ist anders als 2017

19.11.2020, 15:0020.11.2020, 09:42
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Es ist wieder so weit. Der Preis von Bitcoin steigt und steigt. 18'500 Dollar wurde für eine Einheit gestern Morgen bezahlt. Bis zum absoluten Höchststand fehlen nur noch knapp 2000 Dollar. Bei der aktuellen Kursentwicklung könnte es gut sein, dass der Rekord bereits gefallen ist, wenn dieser Artikel online geht.

Den Höchststand von 20'089 Dollar (je nach Börse wird ein unterschiedlicher Wert angegeben) erreichte Bitcoin nach einem monatelangen und exponentiellen Kursanstieg am 17. Dezember 2017. Dann stürzte der Preis ab: Bis im Februar 2018 auf 6100 Dollar, bis im Dezember 2018 – also fast genau ein Jahr nach dem Höchststand – auf 3200 Dollar.

Offenlegung der Interessenslage
Der Autor besitzt Bitcoin, Ether und andere Kryptowährungen.

Es sieht also fast danach aus, als würde sich die Bitoin-Geschichte von 2017 wiederholen.

Und doch ist alles anders.

Ausbleibender Hype

2017 war Bitcoin in aller Munde. Auch in den Schweizer Medien. 1488 Artikel dazu lassen sich in der Schweizer Mediendatenbank finden – produziert in den zwei Monaten November und Dezember 2017.

Und 2020? In den letzten zwei Monaten wurde die Mutter aller Kryptowährungen gerade mal in 471 Artikeln erwähnt. Der mediale Hype blieb bisher aus. Das mag auch an der aktuellen Nachrichtenlage liegen. Trump und das Virus dominieren.

Zweimal «peakte» das Interesse an Bitcoin. Während der Rallye 2017 und im September 2019.
Zweimal «peakte» das Interesse an Bitcoin. Während der Rallye 2017 und im September 2019.screenshot google

Ein ähnliches Bild zeichnen die Suchanfragen bei Google. Das Interesse ist im Vergleich zu 2017 (und Mitte 2019) gering. Viele Analysten deuten das als Zeichen, dass wir uns erst am Anfang eines erneuten Sturmlaufs befinden.

Grossinvestoren

Ein beliebtes Narrativ im Jahr 2017 war die Hoffnung, dass institutionelle Geldmarktinvestoren den Bitcoinkurs in neue Höhen treiben würde. Wenn nicht heute, dann aber ganz sicher morgen. Passiert ist es ... nicht so richtig.

Auch 2020 reihen sich die branchenfremden institutionellen Anleger nicht auf, als gäbe es Freibier – aber einige haben sich getraut: Im Oktober wurde bekannt, dass Square, der Bezahldienstleister von Twitter-Gründer Jack Dorsey, Bitcoins im Wert von 50 Millionen akquiriert hatte. Die Verbindungen zum Social-Media-Giganten liessen aufhorchen. Bereits wurde frohlockt, es könnte zu einer Integrierung kommen. Ebenfalls im Oktober griff der amerikanische Vermögensverwalter Stone Ridge Asset Management für 115 Millionen (10'000 Bitcoins) zu.

Gar mit 250 Millionen stieg Micro Strategy ein. Der börsenkotierte Softwarehersteller erhöhte einen Monat später diesen Betrag um weitere 175 Millionen. Seither ist nicht nur der Bitcoin-Kurs stark gestiegen, sondern auch der Aktienkurs von Micro Strategy – von rund 120 Dollar Ende Juli auf aktuell 208 Dollar. CEO Michael Saylor wird keiner sein, der über das Jahr 2020 schimpft.

Micro-Strategy-CEO Michael Saylor erklärt, weshalb er in Bitcoin investiert

Saylor nennt sich selbst einen Spätzünder. Er habe das Bitcoin-Narrativ nun endlich auch begriffen. Er besitzt privat 17'732 Bitcoins, die er für rund 175 Millionen Dollar erwarb. Ihr heutiger Wert beträgt (im Moment) knapp 320 Millionen.

Die grosse Masse institutioneller Anleger wartet weiter ab. Ausser der iranischen ist noch keine Zentralbank auf den Geschmack gekommen. Deshalb wäre es noch verfrüht, von einem klaren Trend zu reden. Erste Anzeichen sind aber zu erkennen. Dies ganz im Gegenteil zu 2017.

Die Zentralbanken drucken Geld

Im (oben verlinkten) Interview mit Stansberry Research gibt Michael Saylor diverse Gründe an, weshalb Micro Strategy sein Geld in Bitcoin anlegt: Einer davon ist die Geldpolitik der Amerikanischen Notenbank.

Die amerikanische Zentralbank, das FED, «druckte» 2020 so viel Geld wie noch nie. Innerhalb von wenigen Tagen spülte es so beinahe drei Billionen Dollar in den Aktienmarkt. Das entspricht ungefähr dem kombinierten Wert von Google und Apple. Das Konstrukt für diese saloppe Beschreibung eines eigentlich komplizierten Vorgangs lautet «Quantitative Easing».

Die Aktivenstruktur des FED im Verlaufe der letzten Jahre. Mitte 2020 explodierte das Total von vier auf sieben Billionen.
Die Aktivenstruktur des FED im Verlaufe der letzten Jahre. Mitte 2020 explodierte das Total von vier auf sieben Billionen. bild: FED

Auch in Europa wird «Geld gedruckt». Das Rettungsprogramm PEPP der Europäische Zentralbank umfasste bisher 1,35 Billionen. Es ist davon auszugehen, dass mindestens weitere 500 Milliarden dazukommen werden.

Rettungsprogramm?

Die Zentralbanken versuchen, abstürzende Aktienkurse zu stärken und damit weitreichende gesellschaftliche Probleme zu verhindern – zum Beispiel mit der Altersvorsorge in den USA. Ökonomen sind sich allerdings uneinig, wie sich die invasive Strategie längerfristig auswirkt. Anhänger der österreichischen Schule befürchten, dass es dadurch zu einer massiven Geldentwertung kommt. Andere Theorien relativieren diese Gefahr und verweisen auf die Entwicklung in Japan, wo dies seit Jahren (in weniger starkem Ausmass) Usus ist.

Animiertes GIFGIF abspielen
Das in Bitcoin-Kreisen beliebte Gif der FED-Gelddruckmaschine von Tim van Helsdingen. gif: youtube/tim van helsdingen

Nicht wenige Anleger folgen der Logik der Österreicher und beobachten das Vorgehen der Zentralbanken mit Argusaugen. Im Gegensatz zu nationalen Währungen gibt es bei Bitcoin keine Instanz, welche die Gesamtmenge manipulieren kann. Die maximale Anzahl ist auf 21 Millionen Bitcoins festgelegt. Niemand wird das je ändern können. Das bietet Anlegern eine Sicherheit, welche in unsicheren Zeiten umso verlockender wirkt.

Vertrauen und Normalisierung

Bitcoin wird im Januar 12 Jahre alt und ist damit noch nicht einmal ein Teenager. Kein Alter für eine Währung – vor allem aber ein Alter, in dem drei Jahre einen grossen Unterschied machen.

In diesen drei Jahren ereignete sich kein Black-Swan-Event, also kein Event, der die Kryptowährung in ihren Grundfesten hätte erschüttern können. Drei weitere Jahre vergingen, ohne dass eine andere Kryptowährungen die Vormachtstellung von Bitcoin auch nur annähernd hätte angreifen können. Drei weitere Jahre blieb Bitcoin den eigenen Prinzipien treu, während Abtrünnige (BCH, BCV) immer mehr ins Hintertreffen geraten.

Unlängst wurde mit der Republikanerin Cynthia Lummis eine Vorkämpferin der Kryptowährung in den US-Senat gewählt. Die von vielen befürchteten Reglementierungen betrafen vor allem die lange Zeit unkontrolliert agierenden Handelsbörsen. Mittlerweile bieten auch Banken Tools für den Kauf von Kryptowährungen an. Das Argument, Bitcoin werde nur von Scharlatanen, Dieben und Kriminellen im Darkweb verwendet, verstaubt immer mehr. Aus den Spekulanten von 2017 wurden Überzeugungstäter.

Konkurrenzsituation

2017 war das Jahr der ICOs, der Initial Coin Offerings. Jeder Scharlatan und sein Cousin entwickelten für noch so hanebüchene Ideen eine Kryptowährung. Mit ICOs wurde dafür Geld gesammelt. Im Wahn von 2017 flogen den Projekten die Millionen nur so zu.

Die grosse Masse dieser Projekte entstanden auf der Basis von Ethereum – der Nummer zwei der Kryptowährungen. Und die grosse Masse dieser Projekte ist heute entweder tot, verlassen oder schwer angezählt, und die Anleger enttäuscht. Auch Ethereum traf es im Januar 2018 heftig. Die Währung Ether sackte von einem Höchststand von 1432 Dollar auf unter 90 Dollar ab.

Jetzt hat sie sich mehr oder weniger erholt und steht bei 480 Dollar. Ein Grund dafür ist ein erneuter Hype, der DeFi-Hype. DeFi steht für «decentralized finance», also für Finanzprodukte aller Art, die aber ohne zentrale Institutionen wie Banken oder Börsen auskommen. Weil eine Handvoll Projekte damit sehr erfolgreich war, wiederholt sich die Geschichte von 2017: Jeder Scharlatan und sein Cousin ...

Dieses verrückte Treiben ist hartgesottenen Bitcoin-Fans ein Dorn im Auge. Sie verachten die zum Teil undurchsichtigen DeFi-Projekte. Auch, weil einige den Brand Bitcoin aufgrund seiner Zugkraft für Werbezwecke verwenden, die Werte und Grundideen der Mutter aller Kryptowährungen dabei aber hemmungslos verletzen.

Die Fronten zwischen den sogenannten Bitcoin-Maximalisten (nur Bitcoin verdient ein Heureka!) und dem Rest der Kryptoszene verhärten sich deshalb immer mehr. Während Bitcoin auf Stabilität setzt, muss sich die Konkurrenz wie Ethereum auch im Kern neu erfinden. Es sind zwei absolut verschiedene Philosophien, so verschieden wie klassische Musik und Punkrock. Und wie bei der Musik sind Freunde beider Stilrichtungen selten zu finden. Aber es gibt sie.

Noch steht in den Sternen, ob sich DeFi-Projekte auch langfristig halten können – und ob damit Kapital von Bitcoin abgeschöpft werden kann. Während des ICO-Hypes 2017 musste Bitcoin einiges an Marktvorherrschaft abgeben. Sie sank bis auf 36 Prozent. Im Moment geht der Trend wieder in eine andere Richtung. Bitcoin macht 67 Prozent der gesamten Kryptomarktkapitalisierung aus. Auch das ist so ganz anders als 2017.

PS: Im Moment (19.11.2020: 11:10 Uhr) kostet ein Bitcoin 17'474 Dollar. Wir bleiben dran.

Dieser 3-Jährige skatet besser als du

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Die Fotos in der Diashow zeigen es recht gut, bei Tageslicht liefert das neue Fairphone oft ganz anständige Fotos, die vermutlich viele Nutzer zufriedenstellen dürften.
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85 Kommentare
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Don Alejandro
19.11.2020 16:02registriert August 2015
Neid ist keine gute Tugend. Aber ein ehemaliger Arbeitskollege hatte den richtigen Riecher und ist nun "Privatier".
Ich habe ein paar Mal in die Tischkante gebissen, denn ich glaubte vor 5 Jahren nicht an Kryptowährungen.
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Ueli der Knecht
19.11.2020 15:41registriert April 2017
"Die Zentralbanken drucken Geld"

Die grosse Mehrheit ist sich der Dimension nicht bewusst.

Tatsache ist aber, dass 20% aller vorhandenen Dollars, also jeder fünfte Dollar, erst in diesem Jahr 2020 entstanden ist. Die anderen Zentralbanken müssen mithalten.

Auch die SNB druckt fleissig neues Geld. Mangels Alternativen investiert sie es in ausländische Aktien und Unternehmensanleihen, womit sie auf der Wall Street zu einem der grössten Player wurde, und erhebliche unternehmerische Risiken einging.

Das ist letztlich ein Chicken Game (https://de.wikipedia.org/wiki/Feiglingsspiel).
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mrmikech
19.11.2020 15:31registriert Juni 2016
Was auch einfluss hatte: Paypal unterstützt seit Oktober Bitcoin: https://newsroom.paypal-corp.com/2020-10-21-PayPal-Launches-New-Service-Enabling-Users-to-Buy-Hold-and-Sell-Cryptocurrency

Zentralbanken drucken Geld wie nie zuvor, und Zinsen sind im Negativen gerutscht, damit ist "bares ist wares" eine sinnlose aussage geworden.
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