Bären halten Winterschlaf, und sie sind bei weitem nicht die Einzigen: Auch Igel und – wie schon der Name es verrät – Siebenschläfer ruhen in der kalten Jahreszeit. Menschen hingegen träumen höchstens davon, den garstigen Winter einfach verschlafen zu können, doch Homo sapiens hält keinen Winterschlaf.
Möglicherweise war dies aber früher anders – zumindest geht dies aus einer Studie der Paläoanthropologen Antonis Bartsiokas und Juan-Luis Arsuaga hervor, die im Fachmagazin «L'Anthropologie» veröffentlicht wurde. Die Forscher stellten an mehr als 400'000 Jahre alten frühmenschlichen Knochen aus Nordspanien Wachstumsspuren fest, die es sonst nur bei den Knochen von Säugetieren gibt, die Winterschlaf halten.
Beim Winterschlaf handelt es sich um eine Strategie von einigen Spezies, trotz knappem Nahrungsangebot in der kalten Jahreszeit zu überleben. Im Herbst ziehen sie sich in Höhlen oder Erdlöcher zurück und verbringen den Winter mit einigen Unterbrechungen schlafend. Der Winterschlaf unterscheidet sich jedoch deutlich vom normalen Schlaf – die Winterschläfer fahren ihre Körpertemperatur auf wenige Grad über null herunter und verlangsamen sämtliche Stoffwechselaktivitäten – besonders augenfällig Herz- und Atemfrequenz – deutlich. Dieses Leben auf Sparflamme ermöglicht es ihnen, ausschliesslich von ihren Fettreserven zu zehren.
Menschen – zumindest moderne Vertreter der menschlichen Spezies – verfügen nicht über einen solchen Mechanismus, der ihnen erlauben würde, ihre Körperfunktionen dermassen einschneidend zurückzufahren und Energie zu sparen. Bartsiokas und Arsuaga postulieren jedoch, dass eben dies bei wenigstens einigen unserer frühen Vorfahren der Fall gewesen sein könnte. Hinweise darauf fanden sie an Knochen aus der Höhle Sima de los Huesos (deutsch «Knochengrube») im nordspanischen Burgos. Die Höhle ist eine wahre Schatzkammer für Paläontologen – in den letzten 30 Jahren fanden sie dort tausende von rund 430'000 Jahre alten Skelettresten; die meisten von ihnen von Neandertalern, einige aber auch von deren unmittelbaren Vorgängern, dem Homo heidelbergensis und dem Homo antecessor.
Die Forscher stiessen bei den Knochenspuren auf Wachstumsstörungen, die auf ähnlichen Krankheitsbildern beruhen, wie man sie etwa von Bären kennt, die vor dem Winterschlaf nicht ausreichend Nahrung aufnehmen konnten. Solche Tiere leiden beispielsweise an Rachitis und Knochenschäden, die durch eine Überfunktion der Nebenschilddrüsen hervorgerufen werden. Die Symptome am Skelett weisen auf Störungen des Mineralstoffwechsels hin, wie sie auch bei chronischem Nierenversagen auftreten.
Bartsiokas und Arsuaga erklären die verwandten Krankheitsbilder an den Skelettresten der Frühmenschen mit der folgenden Hypothese: Diese hätten versucht, das Problem des eingeschränkten Nahrungsangebots während der kälteren Monate – damals herrschte eine Eiszeit – dadurch zu lösen, dass sie in dieser Zeit durchschliefen. Dies habe dazu geführt, dass ihr Knochenwachstum jedes Jahr während mehrerer Monate gestört worden sei. Monatelanger Schlaf ohne ausreichende Fettreserven habe Spuren an den Knochen hinterlassen, ebenso der Mangel an Vitamin D. Bei Teenagern wiesen die Knochen zudem «seltsame saisonale Wachstumsschübe» auf, wie die Forscher schreiben.
Dass ihre Hypothese gewagt ist, ist den Wissenschaftlern bewusst – sie sprechen selber davon, sie klinge wie «Science Fiction». Nach wie vor seien überdies noch viele Fragen offen, etwa wie die Lebensumstände dieser Frühmenschen oder ihr Stoffwechsel genau aussahen. «Aber die Tatsache, dass der Winterschlaf von sehr primitiven Säugetieren und Primaten genutzt wird, legt nahe, dass die genetische Basis und Physiologie für einen solchen Hypometabolismus bei vielen Säugetierarten, einschliesslich des Menschen, erhalten geblieben sein könnte», geben Bartsiokas und Arsuaga zu bedenken.
(dhr)