Wissen
History

Die Polynesier waren schneller als Kolumbus

Steinstatuen Moai auf der Osterinsel Rapa Nui
Die kolossalen Steinstatuen auf der Osterinsel – Moai genannt – wurden von polynesischen Siedlern aufgestellt. Der norwegische Forscher Thor Heyerdahl glaubte, sie seien von Siedlern aus Südamerika errichtet worden. Bild: Shutterstock

Die Polynesier waren schneller als Kolumbus

20.07.2020, 19:34
Daniel Huber
Folge mir
Mehr «Wissen»

1947 stach Thor Heyerdahl in Peru auf seinem Floss «Kon Tiki» in See. Nach 101 Tagen und einer Reise von knapp 7000 Kilometern erreichte die sechsköpfige Besatzung den südpazifischen Tuamotu-Archipel. Der norwegische Forschungsreisende wollte mit seiner kühnen Expedition den Beweis erbringen, dass Polynesien von Südamerika aus besiedelt worden sei – im Gegensatz zur Lehrmeinung, die davon ausging, dass Polynesien von Asien aus, also von Westen her, besiedelt wurde. Heyerdahls Reise auf dem Floss aus Balsaholz zeigte, dass präkolumbianische Einwohner Südamerikas die enorme Strecke hätten zurücklegen können. Seine These stiess in der Fachwelt jedoch weiterhin auf Ablehnung.

Kon-Tiki 1947
Von Nasjonalbiblioteket from Norway - Expedition Kon-Tiki 1947. Across the Pacific.Uploaded by palnatoke, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=26765008
Heyerdahls Floss «Kon Tiki».Bild: Wikimedia/Nasjonalbiblioteket from Norway

Nun gibt eine im Fachmagazin «Nature» publizierte Studie seiner Theorie neuen Auftrieb. Zumindest sprechen genetische Analysen dafür, dass amerikanische Ureinwohner und Polynesier bereits zwischen 1150 und 1230 Kontakt miteinander hatten – mehrere Jahrhunderte vor der Entdeckungsreise von Christoph Kolumbus, der den amerikanischen Kontinent 1492 erreichte. Ein Forscherteam um Alexander Ioannidis von der Stanford University sammelte DNA-Proben von 807 Personen von 17 Inseln Franzöisch-Polynesiens und 15 indigenen Völkern aus den Küstengebieten Südamerikas und suchten darin nach Sequenzen, die für die jeweiligen Populationen charakteristisch sind. Danach prüften sie, ob dieses Marker auch im Erbgut der anderen Populationen vorkommen.

Die Forscher stiessen bei den Bewohnern der östlichen polynesischen Inseln – darunter auch der Osterinsel – auf eine Beimischung im Erbgut, die aus DNA-Sequenzen bestand, wie sie für einige indigene Gruppen in Mexiko und Kolumbien typisch sind. «Wir entdeckten auf verschiedenen polynesischen Inseln DNA-Sequenzen, die auf einen Ahnen weisen, der zu den Ureinwohnern Amerikas gehörte», erklärt Ioannidis. Diese Genmarker unterscheiden sich zudem deutlich von jenen, die erst mit der Ankunft der Europäer im östlichen Pazifik während der Kolonisierung der Inseln im Erbgut der Polynesier auftauchten.

Die Gen-Marker im Erbgut belegen, dass vor rund 800 Jahren ein Kontakt zwischen den Polynesiern und indigenen Völkern Amerikas stattgefunden haben muss. Sie geben jedoch nicht Auskunft darüber, ob die indigenen Einwohner Südamerikas die Seereise zu den polynesischen Inseln unternahmen oder ob die Polynesier den amerikanischen Kontinent erreichten.

Die Wissenschaftler halten es für wahrscheinlicher, dass die Polynesier auch bis zur amerikanischen Küste gelangten. Das Seefahrervolk hatte einen geeigneten Bootstyp – das Auslegerkanu – konstruiert und fortgeschrittene Navigationstechniken entwickelt, die ihm auch weite Reisen übers offene Meer erlaubten. Zudem hätten sie ihre längsten Seereisen genau in diesem Zeitraum unternommen, als der Kontakt stattgefunden habe, sagte Ioannidis der BBC. Nachdem sie die extrem abgelegene Osterinsel und später auch Hawaii und Neuseeland entdeckt hätten, sei ihnen nicht klar gewesen, dass ihnen die Inseln ausgehen und sie einen Kontinent entdecken würden, fügte er hinzu. Die Polynesier, die jeweils unbewohnte Inseln besiedelten, wandten sich jedoch vermutlich von dem bereits bewohnten Kontinent ab. Möglicherweise nahmen sie aber Leute von dort mit auf die pazifischen Inseln.

Karte Pazifik: Polynesien, Mikronesien, Melanesien
Die Polynesier besiedelten von Asien aus die nach ihnen benannte Region des Pazifiks. Die Eckpunkte des «polynesischen Dreiecks» sind Neuseeland, Hawaii und die Osterinsel. Karte: Wikimedia

Die indigenen Völker Amerikas blieben dagegen bei ihren Seereisen eher in Küstennähe. Es bestand eine präkolumbianische Handelsroute, die von Ecuador und Kolumbien bis nach Zentralamerika führte. Wenn dort ein Boot vom Kurs abkam, konnte es aber durchaus sein, dass es vom Wind und der Meeresströmung bis zu den Marquesas-Inseln oder – wie Heyerdahls «Kon Tiki» – zum Tuamotu-Archipel getrieben wurde. Dazu passt, dass der früheste Kontakt zwischen indigenen Amerikanern und Polynesiern gemäss der Studie auf der Insel Fatu Hiva stattfand, die zu den südlichen Marquesas gehört. Möglicherweise hätten die Polynesier also bei ihrer Ankunft auf diesen Inseln eine kleine, bereits etablierte Population von indigenen Amerikanern angetroffen.

Neben dem Befund der aktuellen Studie gibt es schon länger Hinweise darauf, dass zwischen den Polynesiern und den indigenen Völkern Amerikas zeitweilig ein Kontakt bestand. Ein Beispiel dafür ist die Süsskartoffel, die ursprünglich aus Amerika stammt, aber auch schon lange auf den pazifischen Inseln verbreitet ist. Das polynesische Wort für Süsskartoffel sei zudem eng mit jenem der einheimischen Sprachen im Andengebiet verwandt, so Ioannidis.

Noch früher als die Polynesier dürften allerdings die Wikinger den amerikanischen Kontinent erreicht haben, wenn auch an einer ganz anderen Stelle: Bjarni Herjólfsson oder Leif Eriksson landeten um das Jahr 1000 herum an der Ostküste Nordamerikas.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
21 Inseln, die zum Träumen einladen
1 / 20
21 Inseln, die zum Träumen einladen
Die Inselgruppe der Lizard Islands gehört zum Great Barrier Reef. Sowohl auf dem Land, als auch im Wasser gibt es hier einiges zu sehen. Ausser ein paar Wissenschaftlern und Hotelpersonal lebt niemand auf den Inseln. bild: imgur
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Neue Handelsrouten in der Arktis «dank» Eisschmelze
Video: srf
Das könnte dich auch noch interessieren:
31 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Bynaus
20.07.2020 21:24registriert März 2016
Am allerfrühesten waren die Vorfahren der späteren indigenen Völker Nordamerikas dran, die den Kontinent vor mindestens 13000 Jahren "entdeckten"...
13411
Melden
Zum Kommentar
avatar
mystiker
20.07.2020 22:38registriert März 2019
auf der karte sieht es immer so klein aus...
tatsächlich sind es rund 2000 kilometer von von mangareva zu den osterinseln. Eigentlich erstaunlich, dass man über 2000 kilometer weit reist um eine insel zu finden, die wenige duzend qm gross ist.
782
Melden
Zum Kommentar
avatar
crik
20.07.2020 20:30registriert Dezember 2016
Sehr spannend, vielen Dank!

Ein weiterer Hinweis für diese Reisen: In einer präkolumbianischen Grabungsstätte in Chile hat man einen Knochen von einem Huhn ausgegraben, welches gemäß DNA Analyse aus Polynesien stammte: https://www.pnas.org/content/104/25/10335
323
Melden
Zum Kommentar
31
History Porn, Teil XCVII: Geschichte in 29 Wahnsinns-Bildern

USA, ca, 1915:

Zur Story