Am 16. April 1853 verlässt ein reich geschmückter und mit 400 illustren Passagieren besetzter Sonderzug der Great Indian Peninsula Railway (GIPR) den Boree-Bunder-Bahnhof in Bombay. Das Eisenbahn-Zeitalter hat Indien erreicht. Der mit 14 Waggons bestückte Zug wird von drei aus England gelieferten Dampflokomotiven gezogen. Sie tragen die Namen: Sultan, Sindh und Sahib.
Von da an gedeiht das Streckennetz auf dem damals britisch beherrschten Subkontinent kontinuierlich, denn mit der Bahn sollte der Export von Baumwolle, Seide, Opium, Zucker und Gewürzen gesteigert werden. Zum Ende des Ersten Weltkriegs verbinden 4300 Breitspur-Kilometer die wichtigsten Knotenpunkte in Britisch-Indien.
Wenige Jahre später, am 3. Februar 1925, hat der – mittlerweile in Victoria Terminus umbenannte – Bahnhof von Bombay erneut Grund zum Feiern. Die erste Elektro-Lok der Great Indian steht zur Abfahrt bereit. Und wieder verlässt ein Sonderzug den Bahnhof – diesmal ohne Schwaden und Pfiffe. Zwei Jahre darauf tritt auf der ersten, mit 3000 Volt Gleichstrom ausgerüsteten Strecke die unbestrittene Königin der Elektrolokomotiven ihr Indisches Abenteuer an: Das legendäre «Krokodil» aus den Werkhallen der Schweizerischen Lokomotiv- und Maschinenfabrik (SLM) Winterthur.
Im Vertrag und Pflichtenheft ist vermerkt: Lok. Type CxC / Freight Loco / Ordre L5880. Lieferfrist für den Prototyp ist Ende April 1927. Neun weitere Ausführungen sind laut Vertrag zwischen Juli und September desselben Jahres – möglichst ein Stück pro Woche – seetüchtig verpackt für die Verschiffung nach Bombay, Indien auszuliefern. Eine der Vertragsbedingungen legt die Konventionalstrafe fest: ein halbes Prozent des Verkaufswerts pro Woche Verspätung. Es ist ein Grossauftrag, dem weitere in ganz Europa folgen sollten. Den Ruf dazu hatte sich die Winterthurer Fabrik ab 1919 mit ihrer SBB-Entwicklung, einer schweren Gebirgs-Güterzuglokomotive mit Schrägstangenantrieb erarbeitet.
Eine der damaligen Bedingungen war, dass die neue Zugmaschine die Strecke Goldau – Chiasso zwei Mal innert 28 Stunden – bei nur 15 Minuten Aufenthalt in den Endstationen – mit 860 Tonnen Anhängergewicht zurücklegen kann. Ab 1922 durchqueren die ersten 33, von den Eisenbahnern – und auch im Volksmund – respektvoll «Krokodil» genannten Lokomotiven auf ihren unermüdlichen Fahrten zwischen Basel und Chiasso die Schweiz. Bald schon sind sie aus dem Landschaftsbild des Eisenbahnlandes nicht mehr wegzudenken.
Beim Schweizer «Krokodil» war die SLM Winterthur für die mechanischen Bauteile zuständig. Die gesamte Elektrik wurde von der Maschinenfabrik Oerlikon geliefert. Diese Arbeitsteilung passte den britisch dominierten Auftraggebern der GIPR nicht. Um Arbeit und Verdienst im Mutterland der Eisenbahn zu halten, wird der in Manchester ansässige Elektrokonzern Metropolitan-Vickers beauftragt, die Motoren der Freight-Locos zu bauen, was für die Winterthurer mit einem hohen Abstimmungsbedarf verbunden gewesen ist.
Der Gesamteindruck der Indischen «Krokodile» ist bulliger und kantiger als jener der schlankeren und ein wenig geduckten SBB-Ausführungen. Die Winterthurer mussten sich beim Bau des Lokomotivkastens und der beiden «Motoren-Nasen» an Bedingungen orientieren, die durch das Klima, die langen Strecken ohne Wartung und die Masse der um 241 Millimeter breiteren Spur vorgegeben wurden.
Insgesamt standen bei der Great Indian Peninsula Railway 40 «Krokodile» der Achsfolge C+C im Einsatz. Davon wurden nur die ersten zehn in Winterthur gebaut. Der Auftrag für weitere 31 Krokos ging später zu Vulcan und Vickers. Dass die Briten der Schweiz die «Wunderlokomotive» nicht gönnen mochten, war schon früh erkennbar. In einer Aktennotiz zum Bau der ersten Serie ist notiert:
So mag es denn eine kleine Genugtuung sein, dass das letzte Überlebende GIPR-«Krokodil» mit der Nummer 4502, das im Rail Transport-Museum von Neu-Delhi erhalten ist, 1927 in Winterthur «geboren» wurde.