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Der transatlantische Sklavenhandel

Mit Stoffen wie diesem machten Abolitionisten, Gegner der Sklaverei, auf das menschenunwürdige Schicksal der Sklaven aufmerksam. Stoff «La traite des nègres», um 1820, wohl Manufacture Girard Déville- ...
Mit Stoffen wie diesem machten Abolitionisten, Gegner der Sklaverei, auf das menschenunwürdige Schicksal der Sklaven aufmerksam. Stoff «La traite des nègres», um 1820, wohl Manufacture Girard Déville-lès-Rouen (Ausschnitt).Bild: Schweizerisches Nationalmuseum

Der transatlantische Sklavenhandel

Bis zur endgültigen Abschaffung der Sklaverei im 19. Jahrhundert verschleppten europäische Händler Millionen von Menschen aus Afrika in die Neue Welt. Auch Schweizer Familien und Unternehmen verdienten am transatlantischen Sklavenhandel mit.
28.09.2019, 18:4428.09.2019, 20:13
Noëmi Crain Merz / Schweizerisches Nationalmuseum
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«Ich sah viele meiner unglücklichen Landsleute zu zweien zusammengekettet», erinnerte sich der ehemalige Sklave Ottobah Cugoano 1787 an die Verschleppung aus seiner Heimat im heutigen Ghana. «Man hörte nur noch das Rasseln der Ketten, das Klatschen der Peitschen und das Stöhnen und Schreien unserer Mitmenschen.» Hier traf buchstäblich zu, was Jean-Jacques Rousseau mehr als ein Vierteljahrhundert zuvor im übertragenen Sinne angeprangert hatte: Dass die Menschen frei geboren seien und doch überall in Ketten lägen.

Aber als die Gedanken des Aufklärers, für den «die Worte ‹Sklave› und ‹Recht› im Widerspruche» standen, im Zuge der französischen Revolution 1789 Eingang in die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte fanden, brachten sie den aus Afrika deportierten Menschen weder Freiheit noch Rechte. Im Gegenteil: Allein im Revolutionsjahr liefen aus französischen Atlantikhäfen über 130 Sklavenschiffe aus – der bisherige Höhepunkt eines rechtlich legitimierten Geschäfts, das im folgenden Jahrzehnt einen weiteren Aufschwung erleben sollte.

Einen Sklavenhandel darstellende Porzellanfigur, um 1775.
Einen Sklavenhandel darstellende Porzellanfigur, um 1775.Bild: Schweizerisches Nationalmuseum
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Menschen als Handelsware

Im sogenannten transatlantischen Sklavenhandel, der mit der Besiedlung der Kolonien in Übersee eingesetzt hatte, wurden Menschen vom afrikanischen auf den amerikanischen Kontinent zwangsverschleppt und dort als gratis Arbeitskräfte auf den Plantagen – anfangs insbesondere von Zuckerrohr, später von Baumwolle – eingesetzt. Die ökonomisch kalkulierenden Plantagenbesitzer gaben kaum Geld für Ernährung und Gesundheit der Sklaven aus – starben sie früh, konnte man sie leicht ersetzen. So überlebte ein Mensch die Strapazen im Schnitt etwa sieben Jahre lang, wenn er im 18. Jahrhundert angefangen hatte, als Sklave auf einer Zuckerrohrplantage in Barbados zu arbeiten.

Sklaven auf einer Baumwollplantage in den USA Mitte 19. Jahrhundert.
Sklaven auf einer Baumwollplantage in den USA Mitte 19. Jahrhundert.Bild: Keystone

Der Handel mit den versklavten Menschen wurde Teil eines Dreiecksgeschäfts quer über den Atlantik: Europäische Händler beluden ihre Schiffe an den Atlantikhäfen mit Rum, Waffen und Textilien – insbesondere mit den an afrikanischen Fürstenhöfen beliebten Indiennes-Stoffen aus der Schweiz und Frankreich. In den Häfen Westafrikas tauschte man sie gegen Menschen ein, die afrikanische und arabische Sklavenhändler zur Küste gebracht hatten.

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Auf engstem Raum im Schiffsbauch zusammengepfercht und aneinandergebunden – damit sie sich nicht ins Meer stürzen und ihren Qualen so ein Ende setzen konnten – wurden die Menschen in die Neue Welt verfrachtet. Insgesamt sollen es ab dem 16. Jahrhundert elf bis zwölf Millionen gewesen sein. Zehn bis fünfzehn Prozent überlebten die Überfahrt nicht. In den Kolonien verkaufte man die Menschen und erwarb mit dem Gewinn Zucker, Kakao, Tabak, Reis oder Gewürze. Die exotischen Güter fanden in Europa reissenden Absatz.

Die Sklaven wurden auf engstem Raum im Schiffsbauch zusammengepfercht und aneinandergebunden. Beladungsplan eines britischen Sklavenschiffs, 1788.
Die Sklaven wurden auf engstem Raum im Schiffsbauch zusammengepfercht und aneinandergebunden. Beladungsplan eines britischen Sklavenschiffs, 1788.Bild: Library of Congress

Kolonialreiche wie Grossbritannien oder Frankreich waren führend im Sklavenhandel. Zahlreiche Schweizer Familien und Unternehmen investierten ebenfalls in das boomende Geschäft und erwirtschafteten nicht selten hohe Gewinne. Die Basler Welthandelsfirma Christoph Burckhardt & Cie. beispielsweise war durch Anteilscheine an Sklavenfahrten in den menschenverachtenden Wirtschaftszweig involviert.

Führend im Handel von Indiennes-Stoffen sahen ihre Inhaber hier neben dem direkten Gewinn auch die Möglichkeit, durch die Belieferung der Schiffsausrüster mit ihren Stoffen die afrikanischen Märkte zu erobern. Geldinstitute, beispielsweise die Zinskommission Leu (die spätere Bank Leu), hielten hohe Anteile an der französischen Compagnie des Indes, die in grossem Umfang Sklavenhandel betrieb. Zeitweise waren 30 Prozent ihrer Aktien in Schweizer Händen.

Einziger erhaltener für den Sklavenhandel hergestellter Stoff. Er stammt aus Nantes, wo 45 Prozent aller französischen Sklavenschiffe ausliefen.
Einziger erhaltener für den Sklavenhandel hergestellter Stoff. Er stammt aus Nantes, wo 45 Prozent aller französischen Sklavenschiffe ausliefen.Bild: Schweizerisches Nationalmuseum

«Ihr könnt euch entscheiden wegzuschauen, aber ihr könnt nie mehr sagen, ihr hättet es nicht gewusst!»

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts verloren die finanziellen gegenüber den humanistischen Argumenten langsam an Gewicht. Dazu trug massgeblich die 1789 erschienene Autobiographie des ehemaligen Sklaven Olaudah Equiano bei. Innert Kürze avancierte sie zum Bestseller, bis zum Tod des Autors 1797 erschien sie in acht Auflagen.

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Mit dem Bericht der brutalen Entführung als Kind und der qualvollen Überfahrt in die Neue Welt gab Equiano der «Handelsware Mensch» ein Gesicht. Fadenscheinige Rechtfertigungsargumente wie jenes, die Sklaven hätten in der Neuen Welt ein glücklicheres Leben als in Afrika, verloren definitiv jegliche Glaubwürdigkeit. Der eklatante Widerspruch zwischen den Werten der Aufklärung und der Unfreiheit der Sklavinnen und Sklaven, auf deren Buckel Europa seinen Reichtum vermehrte, konnte nicht länger ignoriert werden.

Im Mai 1789 präsentierte der britische Parlamentarier William Wilberforce in einer brillanten Rede den ersten Gesetzesentwurf für ein Verbot des Sklavenhandels. «So viel Elend zusammengepfercht auf so wenig Raum ist mehr als die menschliche Einbildungskraft sich je hätte vorstellen können», rief er ins Parlament und stellte damit die menschliche Tragödie klar über die ökonomischen Argumente.

William Wilberforce (1759 – 1833), porträtiert von Anton Hickel, 1794.
William Wilberforce (1759 – 1833), porträtiert von Anton Hickel, 1794.Bild: Wikimedia

Noch wogen diese aber schwerer – nur wenige wollten sich für das Verbot eines Wirtschaftszweigs einsetzen, der trotz Risiken bis zu fünfzehn Prozent Rendite versprach. Auch in Frankreich blieb es bei Lippenbekenntnissen zur Gleichberechtigung aller Menschen: Die versklavten Menschen lagen in Ketten, während die Sklavenhändler in Nantes wie Fürsten lebten.

Wilberforce liess nicht locker und reichte fast jährlich neue Gesetzesentwürfe ein. Mit Erfolg: Das Verbot des Sklavenhandels kam 1807 in Grossbritannien und seinen Kolonien und 1815 in Frankreich durch; jenes der Sklavenhaltung 1834 respektive 1848. Sklaven in den unabhängigen Staaten mussten länger darauf warten: Nach den USA 1865 schaffte 1888 auch Brasilien als letzter Staat auf dem amerikanischen Doppelkontinent die Sklaverei ab.

Die versklavten Menschen hatten damit endlich die in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte proklamierte und ihnen aufgrund der Hautfarbe so brutal verweigerte Freiheit erlangt. Die Ausbeutung von Arbeitskräften ging jedoch weiter: Bald ersetzten Menschen aus Indien und China die Sklavinnen und Sklaven.

Ihre Verpflichtung regelte man zwar vertraglich, doch Täuschungen bei der Rekrutierung, Einschüchterung und Gewalt waren an der Tagesordnung. Diese Form von «Vertragsknechtschaft» (man sprach von «indentured labour») liess manch ein Schicksal dem der von vormals aus Afrika verschleppten Menschen ähneln.

Landesmuseum Zürich
30.08.2019 – 19.01.2020

Die Ausstellung im Landesmuseum erzählt die Geschichte rund um die Textilproduktion, thematisiert das koloniale Erbe und wandelt auf den Handelswegen zwischen Indien, Europa und der Schweiz. Äusserst sehenswert sind die vielen prachtvollen Stoffe, darunter hochkarätige Leihgaben aus dem In- und Ausland.

Eine weniger bekannte Seite des Sklavenhandels:

>>> Weitere historische Artikel auf: blog.nationalmuseum.ch
watson übernimmt in loser Folge ausgesuchte Perlen aus dem Blog des Nationalmuseums. Der Beitrag «Der transatlantische Sklavenhandel» erschien am 24. September.
blog.nationalmuseum.ch/2019/09/der-transatlantische-sklavenhandel
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37 Kommentare
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Aurak_567
28.09.2019 20:03registriert März 2016
Ja. Und heute arbeiten Menschen in gewissen Teilen Afrikas unter menschenunwürdigen Bedingungen für einen Lohn von dem eine Familie kaum überleben kann für den lokal alles dominierenden Arbeitgeber z.B. in einem Bergwerk. Wenn es ihnen gelingt zu fliehen, werden sie von Geschäftsleuten in Schiffen zusammengepfercht nach Europa gebracht um hier nirgends akzeptiert zu werden und schliesslich unter menschenunwürdigen Bedingungen und einem Lohn der kaum zum Überleben reicht in Italien Gemüse zu ernten.
Ich sehe nicht ein, wieso der Artikel die Vergangenheitsform verwendet.
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mikel
29.09.2019 00:28registriert Februar 2014
Danke für den Bericht. Nicht nur um wieder einmal das Schicksal der Sklaven in Erinnerung zu rufen. Mehr als einmal ist mir dabei durch den Kopf gegangen, dass man es auch heute immer wieder schafft, mit ökonomischen Argumenten Misstände lange aufrecht zu erhalten. Mit Fehlinformation, aber auch Angstmacherei.
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Enzian034
28.09.2019 20:07registriert Mai 2018
Wo hatten oder haben die Schweizer ihr Hände nicht drin, wenn es ums Geld scheffeln geht? Egal wie widerwärtig, dreckig oder Menschen unwürdig es ist.
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